Teamarzt Gerald Ackerl: »Im Radsport muss man sich durchsetzen«

Der Teamarzt von Intermarché-Wanty über seine Arbeit bei der Tour, Zwei-Minuten-Diagnosen und Vier­augen­gespräche

  • Interview: Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Team Intermarché-Wanty: Der deutsche Radprofi Jonas Rutsch (l.) unterstützt bei der Frankreich-Rundfahrt Sprintstar Biniam Girmay.
Team Intermarché-Wanty: Der deutsche Radprofi Jonas Rutsch (l.) unterstützt bei der Frankreich-Rundfahrt Sprintstar Biniam Girmay.

Sie sind ein Berliner Arzt und haben auch einige Kollegen aus dem Unfallkrankenhaus in Marzahn zur Tour de France mitgebracht. Wie kommt solch eine Ärztecrew zum belgischen Rennstall Intermarché-Wanty?

Ich war vor Jahren schon Teamarzt beim Team Israel Premier Tech und bin dann mit Intermarché in Kontakt gekommen. Den einen oder anderen deutschen Bezug gibt es ja auch im Team: zwei Profis bei der Tour, Jonas Rutsch und Georg Zimmermann. Tobias Müller fährt im Nachwuchsteam. Wir haben mit Cube auch eine deutsche Radfirma. Beim Radsport bietet es sich auch an, dezentral zu betreuen. Die Fahrer wohnen in Europa verstreut, man muss nicht unbedingt in Belgien sitzen. Wir haben aber natürlich auch einen belgischen Arzt im Team, um Sachen vor Ort schnell klären zu können. Das funktioniert alles tadellos.

Wie bereitet sich ein Teamarzt auf die Tour de France vor?

Die Tour selbst hat ja schon ein super Ärzteteam, das ist sehr erfahren. Es gibt sieben Notarztautos, ein Motorrad, mobile Röntgengeräte im Ziel. Das ist wirklich alles fantastisch organisiert. Wir haben auch unser Equipment dabei, zur unmittelbaren Behandlung von Wunden, vor allem aber zur Therapie von Wunden. Oft müssen die Fahrer ja über mehrere Tage mit diesen Wunden zurechtkommen.

Was genau haben Sie da alles dabei?

Alle möglichen verschiedenen Pflaster und Verbände, auch Schaumpflaster. Das sind alles sehr hochwertige Dinge. Dazu noch Salben für alle Möglichkeiten, auch gegen Infektionen. Man muss für alles bereit sein. Wir sind in Frankreich ja oft auch in Gegenden unterwegs, wo man aufgrund des ganzen Tagesablaufs sehr schwer zu einer Apotheke kommt. Und man arbeitet lieber mit dem Equipment, das man kennt.

Interview

Gerald Ackerl ist als Teamarzt beim belgischen Rennstall Inter­marché-Wanty bei der Tour de France dabei. Der Berliner Mediziner betreut auch die Basket­baller von Alba Berlin und ist haupt­amtlich Leiter der Sport­medizin im Unfall­kranken­haus Marzahn. Tom Mustroph gab er Einblick in die Tätig­keiten eines Arztes bei der Frank­reich-Rundfahrt.

Vor dem Grand Depart gab es ein Treffen von Team- und Rennärzten. Was waren dort die Punkte, die bei dieser Tour besonders wichtig werden könnten?

Viel Wert wurde auf das Thema Gehirnerschütterung gelegt. Jeder Fall muss dem Weltverband UCI gemeldet werden. Hitze war auch ein großes Thema – wann man bei welchen Temperaturen die Abläufe verändert bis hin zur Neutralisierung der Etappe.

Welche Möglichkeiten haben Sie, um unmittelbar nach einem Sturz, am besten noch bei laufendem Rennen, die Gefahr einer Gehirnerschütterung zu erkennen?

Es gibt dafür ein Protokoll von der UCI mit ganz genauen Vorgaben, die auch speziell für den Straßenradsport ausgelegt sind. Man macht eine kurze Befunderhebung unmittelbar nach dem Unfall und dann ein bisschen zeitversetzt und ausführlicher später im Hotelzimmer. Entsprechend diesem Protokoll und natürlich auch der eigenen klinischen Erfahrung wird dann die Entscheidung getroffen, ob der Sportler das Rennen fortsetzen kann oder ob wir sofort eine Bildgebung brauchen, eine Computertomografie.

Wie viel Zeit haben Sie beim Rennen, um so ein kurzes Assessment zu machen?

Das geht alles ganz schnell und dauert nur zwei Minuten. Es geht auch nicht anders, sonst ist ja das Feld weg. Auch deshalb muss schnell eine Entscheidung getroffen werden.

Was kann man denn in diesen zwei Minuten herausfinden? Was fragen Sie da alles ab?

Es geht vor allem um die Orientierung: Zeit und Ort. Das sind standardisierte Fragen, und da kann man dann schon ungefähr einschätzen, ob hier jetzt wirklich ein dringender Verdacht vorliegt.

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Welche Kriterien haben Sie, um zu entscheiden, ob ein Sportler so stark verletzt ist, dass er nicht mehr weiterfahren sollte, selbst wenn er das noch will.

Radprofis kommen zu einer Grand Tour mit dem klaren Ziel, das bis zum Ende durchzuziehen. Ich betreue auch die Basketballer von Alba Berlin, dort ist es völlig anders. Im Radsport muss man sich oft ein wenig mehr durchsetzen, manchmal auch ein bisschen gegen den Willen des Fahrers entscheiden und sagen: So, das ist jetzt einfach nicht mehr vernünftig. Der Wert für das Team ist dann vielleicht auch nicht mehr so groß, wenn jemand stark lädiert ist. Dann muss man in einem Vieraugengespräch dem Fahrer einfach sagen, dass er sich jetzt besser auf das konzentriert, was danach kommt. Die Saison geht ja auch nach der Tour noch lange weiter, und es gibt noch andere Ziele. Und wenn man andere Ziele definiert, dann wird es meistens gut angenommen.

Gerade die ersten Etappen dieser Tour sind sehr intensiv und das Sturzrisiko auch wegen der schmalen Straßen und des Seitenwinds größer. Wie schätzen Sie das ein und bereiten sich darauf vor?

Ich lasse mich nicht mehr nervös machen. Ich beobachte das vor jeder großen Rundfahrt und habe auch den Eindruck, dass es ein bisschen ein Medienthema ist. Klar, es ist nervös, aber das ändert nichts an meinem Equipment. Ich bin hier so ausgestattet, dass wir über diese 21 Etappen die Fahrer gut betreuen können. Bei Rennen wie Paris–Roubaix packe ich natürlich etwas mehr ein, jetzt bei der Tour haben wir das gleiche Equipment wie schon im vergangenen Jahr dabei.

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