Spätes Erwachen nach Synagogen-Attentat

Studie zu Antisemitismus in Sachsen-Anhalt vorgelegt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In Sachsen-Anhalt sind derzeit zwei Neubauten von Synagogen geplant: in Dessau und Magdeburg. In einer der beiden Städte wurde ein Banner, das auf das Vorhaben hinweist, insgesamt fünfmal beschädigt. Einmal wurde das Wort »Synagoge« herausgeschnitten. Ein andermal schrieb jemand mit Kugelschreiber die Worte darauf: »Zum Niederbrennen«.

Die Vorfälle finden sich in einem Lagebild zu Antisemitismus in Sachsen-Anhalt, das der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) jetzt vorgelegt hat. Es beruht auf Interviews mit Mitgliedern jüdischer Gemeinden in dem Bundesland, die im Sommer 2019 geführt wurden - Wochen vor dem Terroranschlag vom 9. Oktober in Halle, bei dem ein Rechtsextremer am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur versuchte, in die dortige Synagoge einzudringen und ein Blutbad unter versammelten Gemeindemitgliedern anzurichten.

Die Interviews zeigen, dass der Täter nicht allein ist mit seiner antisemitischen Einstellung. Vielmehr sei Antisemitismus »alltagsprägend« für jüdische Menschen in Sachsen-Anhalt, formulieren die Autoren. Keiner der Befragten sei in seinem privaten oder Berufsleben noch nicht davon betroffen gewesen; zudem habe keiner der Gesprächspartner die Hoffnung, dass »ungetrübtes jüdisches Leben möglich« sei. Die Spanne reicht von Beschimpfungen über tätliche Angriffe bis zu Sachbeschädigungen, etwa von Kränzen nach Gedenkveranstaltungen an den Holocaust. Für den Zeitraum von 2014 bis 2018 wertete RIAS 334 Vorfälle aus im Land, von denen 270 auch von der Polizei registriert worden waren.

In Sachsen-Anhalt leben der Studie zufolge rund 1700 Juden, das sind weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung im Land. Insgesamt gibt es fünf Gemeinden in Halle, Magdeburg und Dessau. Der Großteil ihrer Mitglieder stammt aus der früheren Sowjetunion und ist in den 90er Jahren in die Bundesrepublik gekommen. Seitdem habe Antisemitismus »eklatant zugenommen«, zitiert das Papier eine Interviewte. Vornehmlich gehe dieser von Rechtsextremen aus. Die Bereitschaft, Vorfälle anzuzeigen, werde als »eher niedrig« bewertet, heißt es in dem Papier, das deshalb empfiehlt, eine zivilgesellschaftliche und für Betroffene leicht erreichbare Meldestelle einzurichten. Die Empfehlung werde das Land aufgreifen, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Zudem wolle die Landesregierung ein »Aktionsprogramm gegen Antisemitismus« auf den Weg bringen.

Solche Schritte seien nicht zuletzt nach dem Anschlag vom 9. Oktober überfällig, sagte RIAS-Geschäftsführer Benjamin Steinitz. Staatliche Stellen Sachsen-Anhalts müssten »ihre Haltungen aus der Vergangenheit auf den Prüfstand zu stellen«. Zum Teil scheint das bereits der Fall zu sein. Eine Nachbefragung nach dem Attentat ergab, dass vor allem in Halle ein »spätes Aufwachen« der Sicherheitsbehörden registriert wurde. Dagegen waren in Interviews im Sommer 2019 noch deutliche Defizite bei staatlichen Schutzmaßnahmen für jüdische Gemeinden beklagt worden.

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