Die unterversicherte Coronakrise

Allianz, Axa & Co. zahlen kaum für Betriebsschließungen, erwarten Personalabbau und setzen auf höhere Prämien

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Versicherung uns im Zweifelsfall im Stich lässt.« An diesen Aphorismus dürften in diesen Tagen viele Gastro-nomen und Hoteliers denken, wenn ihre Versicherer für Betriebsschließungen nicht aufkommen wollen. Abertausende Unternehmer haben eine entsprechende Police abgeschlossen, im guten Glauben, notfalls finanziell abgesichert zu sein. Denkste!

Das »Nein« der Versicherer trifft einen Wirtschaftszweig im Überlebenskampf. Vielen Betrieben sind infolge des Corona-Lockdowns sämtliche Einnahmen weggebrochen, andere versuchen, sich mit Außer-Haus-Verkauf über Wasser zu halten. Klagen über zahlungsunwillige Versicherer sind auch aus vielen anderen Branchen zu vernehmen.

Die Assekuranz verweist dagegen auf geltende Verträge. Eine sogenannte Betriebsunterbrechungsversicherung zahlt, wenn eine Gefahr wie Feuer oder Einbruch Schäden an Betriebsmitteln verursacht, die dann zu einer Unterbrechung des Geschäftes führen. In der Coronakrise sind es aber behördliche Anordnungen, die Betriebe zwingen, ihre Türen zu schließen. Finanziellen Schutz gibt es dann nur, wenn eine »Betriebsschließungsversicherung« abgeschlossen wurde. Diese muss zudem ganz allgemein Infektionskrankheiten als Schließungsursache umfassen. In einigen Vertragsvarianten sind alle Infektionsarten einzeln aufgezählt - das neuartige Coronavirus fehlt natürlich.

Die Versicherer müssen sich aufgrund ihres Verhaltens nun auf eine Klagewelle einstellen. So rät der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) seinen Mitgliedern zur Schadensanzeige. Ein Rechtsgutachten sehe die Versicherer vielfach in der vollen Zahlungspflicht.

Ob es letztlich nur wenige strittige Fälle sind, wird sich erst in einigen Monaten zeigen. Versicherungsmakler berichten, dass von der Industrie oder von Kultur- und Sportveranstaltern solche Pandemie-Zusatzbausteine kaum nachgefragt worden waren. Dabei galten sie bisher als preiswert, denn auch die Assekuranzkonzerne selbst haben bislang Pandemien offenbar als Risiko unterschätzt.

Einige Versicherer, allen voran HDI, haben indes angekündigt, Gewerbekunden für eine Betriebsschließung teilweise zu entschädigen. Oder sie suchen in internen Verhandlungen einen Kompromiss mit Dehoga. Nicht zuletzt macht die Politik Druck. Und die Europäische Versicherungsaufsicht hat die Unternehmen aufgefordert, die Corona-Auswirkungen »abzumildern«. Erste Versicherer wollen Beiträge an ihre Kunden zurückzahlen - schließlich fallen beispielsweise in der privaten Autoversicherung deutlich geringere Schäden an, als vor Corona kalkuliert.

Insgesamt dürfte die Viruskrise die Versicherungsbranche direkt kaum treffen. Pandemie-Risiken haben nur 17 Prozent der Versicherer uneingeschränkt abgedeckt, wie eine aktuelle Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY ergab. Dennoch treffe Corona die Versicherungsbranche »mit voller Wucht«. Man sorgt sich in den Vorständen nicht allein vor einem Imageverlust. Nahezu alle Versicherer erwarten negative Auswirkungen auf die Entwicklung ihrer Kapitalanlagen, die mehr als 1,5 Billionen Euro betragen, und auf die Gewinne. 84 Prozent gehen davon aus, dass das Neugeschäft zurückgehen wird. »Dies werden auch die Beschäftigten und die Versicherten zu spüren bekommen«, heißt es in der EY-Studie. 21 Prozent der befragten Unternehmen erwartet, dass die Branche wegen der Coronakrise in den kommenden zwei Jahren Personal abbauen wird. Ebenso viele gehen davon aus, dass sich Prämien für die Versicherten erhöhen werden.

In Deutschland drängt die Versicherungswirtschaft derweil auf einen gemeinsamen Schutzschirm mit der öffentlichen Hand. Pandemien und Kriege gehörten zu den Risiken, die nicht zu versichern seien, so das Argument. Für solche Situationen gebe es in vielen Ländern eine Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, sagt Allianz-Chef Oliver Bäte. Im Schatten der Coronakrise trommelt er - assistiert von Thomas Buberl, Chef des französischen Rivalen Axa - für eine gesamteuropäische Lösung unter Einbindung der Staaten. »Wir sollten in Europa eine gemeinsame Lösung finden, weil wir eine Gefahrengemeinschaft sind«, argumentiert Bäte.

Einen kleineren Schutzschirm hat die Bundesregierung Mitte April bereits aufgespannt. Sie bürgt mit 30 Milliarden Euro für die Absicherung der Lieferketten. Versicherer decken vor allem Exporte der deutschen Industrie mit sogenannten Warenkreditversicherungen ab. Sie springen ein, wenn der ausländische Käufer nicht bezahlen kann oder will. Der verlangte Schutzschirm hätte indes weit größere Dimensionen.

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