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In der rot-rot-grünen Koalition in Erfurt knirscht es

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Corona-Krise hat viele Trends – gute wie schlechte – beschleunigt, die es schon seit Langem in Deutschland und Thüringen gibt. Am offensichtlichsten ist das wohl bei der Digitalisierung des Schulwesens und der Arbeitswelt. Die Ansätze dazu gibt es seit Jahren. Doch das Auftauchen des Virus vor einigen Wochen hat beidem einen Schub gegeben, der zuvor unvorstellbar gewesen ist.

Bislang kaum beachtet, aber nicht weniger wirkmächtig ist aber das, was das Virus mit der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen macht. Die hatte die von ihr getragene Minderheitsregierung ins Amt zurückgebracht, Anfang März und damit nur Stunden bevor Sars-CoV-2 Deutschland fest in seinen Griff gebracht hat.

Nun, etwa zehn Wochen später, macht das Virus auch die Fliehkräfte offenbar, die es bei Rot-Rot-Grün zwar schon immer gab, auch in der vergangenen Legislaturperiode schon. So, wie auch die Ansätze, für den Unterricht iPads und E-Mails einzusetzen. Fliehkräfte, die nun aber viel, viel gewaltiger und für das Bündnis viel gefährlicher sind als bislang. Vor allem zwischen der SPD und den Grünen gibt es inzwischen mehr Streit als Einigkeit. Wer sich im politischen Erfurt nicht-öffentlich mit Vertretern des einen Koalitionspartners über die Vertreter des anderen Koalitionspartners unterhält, hat nicht selten den Eindruck, hier würde ein Regierungsmann oder eine Regierungsfrau über die Opposition schimpfen.

Am sichtbarsten ist das in den vergangenen Tagen nicht nur am auch innerkoalitionären Streit darüber geworden, ob die Polizei bei Protesten gegen coronabedingte Einschränkungen zu lasch gegen diejenigen vorgeht, die dabei gegen verhängte Auflagen verstoßen. Noch deutlicher wird dies beim Streit zwischen SPD und Grünen darüber, ob Thüringen im Alleingang bis zu 2.000 Flüchtlinge innerhalb von vier Jahren aus den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln aufnehmen soll - ein Beispiel für die innerkoalitionäre Unruhe, ja die inzwischen teilweise völlige Abneigungen der einen gegenüber den anderen.

War Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) vergangene Woche noch zuversichtlich gewesen, auch die SPD-Minister im Regierungskabinett von seinen Plänen überzeugen zu können, ist nun klar, dass das Thema am Dienstag in der Kabinettssitzung nicht einmal aufgerufen worden ist. Es habe, sagt Adams, sich vor der Kabinettssitzung kein Termin finden lassen, an dem er und Landes-Finanzministerin Heike Taubert (SPD) noch einmal über das Thema hätten sprechen können – freilich eigentlich ein Unding, in einer Koalition, von der Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) immer behauptet, man begegne sich dort »auf Augenhöhe«.

Inzwischen, sagt Adams, habe es dieses Gespräch zu seinen Flüchtlingsplänen zwischen ihm und Taubert zwar geben. »Das war ein gutes Gespräch, wir konnten Missverständnisse ausräumen«, sagt er zunächst. Dann sagt er aber auch: Die Koalition müsse sich unter anderem doch mal darüber verständigen, wie viele Flüchtlinge nun wirklich aufgenommen werden könnten und wie viele unbegleitete Minderjährige darunter seien. Was heißt: Eigentlich alles auf Anfang, die SPD hat das Programm erfolgreich ausgebremst. Das wiederum erklärt auch, weshalb am Tag nach der Kabinettssitzung der Landesregierung sowohl Linke als auch Grüne Pressemitteilungen verschickt hatten, in denen sie beide sich für ein solches Programm stark gemacht hatten.

Die Linke-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hatte darin, »konstruktive Bemühungen« im Sinne der Flüchtlinge gefordert. »Angesichts der Lage der Menschen in den Elendslagern von Moria auf Lesbos und anderswo dürfen wir uns weitere Verzögerungen nicht leisten«, sagte sie. Die Grüne-Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich hatte gesagt: »Statt zu helfen, suchen einige derzeit gefühlt lieber das Haar in der Suppe, als gemeinsam nach Lösungen im Sinne der Geflüchteten.« Von der SPD kam: vielsagendes Schweigen.

Damit zeigt das Corona-Virus in Thüringen auch etwas, das schon immer wahr war im rot-rot-grünen Land, das in den vergangenen Wochen aber eben coronabedingt noch wahrer geworden ist im Freistaat: dass der tiefste Graben innerhalb von Rot-Rot-Grün zwischen Sozialdemokraten und Grünen verläuft – und die Linken der Stabilitätsanker innerhalb der Koalition sind. Zum einen, weil die Linke – nicht zuletzt aus ihrem eigenen Machtstreben heraus – die drei sogenannten Partner immer wieder zusammenbringt. Zum anderen, weil SPD- und Grüne-Vertreter zwar ungemein häufig übereinander schimpfen, aber doch nur relativ selten über die Linken.

Das kann natürlich auch daran liegen, dass sie in diesen Momenten ob des Frusts übereinander ganz vergessen, dass da noch die Linken sind.

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