Sichtbar wird Erinnerung erst im Alltag

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 2 Min.

»In dem Moment, wo ein Denkmal fertig ist, veraltet es«, stellt Thomas Lutz, Leiter der Topographie des Terrors, fest. Eine oft jahrelang geführte, lebhafte Debatte ende dann. Man könnte auch sagen, die Erinnerung wird statisch.

Ob und - wenn ja - wie das verhindert werden könnte, diskutierte Lutz vor einigen Tagen in einer Runde des Regionalmuseums Mitte. Dabei waren auch Bezirksstadträtin Sabine Weißler (Grüne), die Vorsitzende des Kulturausschusses der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, Vera Morgenstern (SPD), der Historiker Thomas Irmer und Andreas Szagun von der Bürgerinitiative »Ihr letzter Weg«. Sie alle sind der Meinung, dass die Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Berliner Juden und Jüdinnen auch nach über 75 Jahren angesichts der Monstrosität des Verbrechens noch immer keine angemessene Form gefunden hat.

Aus diesem Grund soll es noch in diesem Jahr ein neues Konzept geben, wie man das Vernichtungsnetzwerk der Nationalsozialisten im Berliner Stadtraum zukünftig wahrnehmbar machen kann, »für jedermann und jederfrau erkennbar erzählt«, wie Sabine Weißler sagt. Das Gebiet des heutigen Bezirks Mitte hat darin eine besondere Rolle gespielt. Von 15 in Berlin eingerichteten Sammellagern befanden sich hier allein zwölf: Die Synagoge in der Levetzowstraße, das jüdische Altenheim und die jüdische Schule in der Großen Hamburger Straße und die jüdische Sozialverwaltung in der Rosenstraße sind die bekannteren Orte jüdischer Hilfe und Pflege, die von den nationalsozialistischen Tätern in Orte der Verfolgung und Vernichtung umfunktioniert wurden. Von ihnen aus zwangen sie zwischen 1941 und 1945 viele der mehr als 50 000 Berliner Jüdinnen und Juden auf über 184 Transporten in ihre akribisch geplante Ermordung - in die Ghettos und Mordstätten in Osteuropa, die Vernichtungslager von Auschwitz-Birkenau und Sobibór. Diese Vernichtung sei zwar »im historischen Wissen versenkt, aber nicht sichtbar«, so Weißler. Das mag auch daran liegen, dass es nur wenige bis gar keine Fotos davon gibt. Man hoffe, mit einem aktuellen Aufruf solche Dokumente zu erhalten.

Belegt ist dennoch, dass die letzten Wege der jüdischen Menschen durch dichtbewohnte Viertel zu den Deportationsbahnhöfen Moabit, Grunewald und zum Anhalter Bahnhof führten. »Das waren keine Nacht- und Nebelaktionen, das geschah in der Regel am helllichten Tag zur Arbeitszeit«, sagt Thomas Irmer.

Die Alltäglichkeit der Vernichtung in eine alltäglich erfahrbare Erinnerung zu übersetzen, sei eine gestalterische Herausforderung, erklärt Weißler. Sie hofft, dass viele Konzepte eingesandt werden.

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