Keine Ausflüchte mehr

Jetzt steht fest: Das BND-Gesetz ist nicht verfassungskonform.

Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde, meinte einst SPD-Politiker Peter Struck. Das 2016 vorgestellte BND-Gesetz scheint da eine Ausnahme gewesen zu sein, denn am Entwurf tat sich bis zur Inkraftsetzung 2017 geradezu nichts. »Jegliche Kritik daran ist verhallt«, wundert sich Rechtsanwalt Bijan Moini im Gespräch mit dem »nd« über das Gesetz. Zurecht. Denn als die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes am Dienstag ihren Urteilsspruch verlesen, ist endlich klar, dass das BND-Gesetz weitgehend verfassungswidrig ist.

Der 36-jährige Moini ist Rechtsanwalt bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte und koordinierte die Verfassungsbeschwerde, die durch die Organisation »Reporter ohne Grenzen« im Namen mehrerer ausländischer Journalist*innen auf den Weg gebracht wurde. Der Bundesnachrichtendienst (BND) durfte bisher auch sie ausspähen, weshalb sie als Betroffene klagten. Bei internationalen Kooperationen geraten auch deutsche Staatsbürger*innen und Informant*innen weltweit in das Netz des Dienstes. Über kurz oder lang schränkt das die Berichterstattung massiv ein.
»Als das BND-Gesetz kam, konnten wir nicht klagen. Linke und Grüne hatten nicht genug Stimmen, um eine Normenkontrollklage in Karlsruhe einreichen zu können«, sagt der Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion André Hahn. Er ist Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums PKGr und stößt immer wieder an die Grenzen dieser Kontrolle.

Rückblick: Als der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden im Juni 2013 zum Whistleblower wurde, brach für die Geheimdienste eine heile Welt zusammen. Woche um Woche wurden das Ausmaß und die technischen Wege der internetbasierten Überwachung offen gelegt. Die Geheimdienste gerieten unter Druck. Schnell stand auch der BND in der Kritik. Über Jahre hatte man in Pullach nicht nur die US-Technik zur Auswertung von Internetdaten genutzt, sondern auch massenhaft und anlasslos Internetverkehre an die NSA weitergeleitet.
»Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung«, äußerte sich der verantwortliche Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im August 2013 und wollte die Affäre nach wenigen Wochen für beendet erklären. Als 2014 der NSA-Untersuchungsausschuss begann, wurde dieser in weiten Teilen zu einem BND-Untersuchungsausschuss. Milliarden an Datensätzen hatte der Dienst abgeschöpft und an die US-Partnerdienste weitergeleitet, vieles überwiegend ungeprüft. Die Rechtfertigungen dafür wirkten abstrus. Die Datensammlung verstoße gegen keine deutschen Gesetze, denn sie finde ja über Satelliten im Weltall statt, redete sich der BND heraus. Auch seien Ausländer nicht durch Grundrechte geschützt, die man nur Deutschen gewähren müsse, verteidigte die Bundesregierung. Noch vor Ende der Untersuchung schuf die große Koalition dann Fakten: Das neue BND-Gesetz legalisierte, was zuvor in einer Grauzone geschehen war.

»Es ist schon ein gehöriges Maß an Arroganz da«, ordnet André Hahn ein. Bedenken seien einfach weggewischt worden. »Man hat den Eindruck, als wolle die Regierung immer wieder ausloten, wie weit sie gehen kann.« Doch seit dem Urteil vom vergangenen Dienstag bleiben der Bundesregierung keine Ausflüchte mehr. Die Verfassungsrichter stellen klar, dass Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit, sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis auch für Menschen im Ausland gelten. Der BND unterliege bei der Überwachung weitgehend denselben strengen Kriterien, wie sie auch für Geheimdienste im Inland gelten. Die Richter stecken mit dem Urteil einen so engen Bereich ab, dass es nur wenig Raum gibt, von den Vorgaben abzuweichen.

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Bitter für die Bundesregierung: Die Third-Party-Rule wird gekippt. Bislang definierte das Kanzleramt das Parlament als »Dritte Partei« und verweigerte Untersuchungsausschüssen und Kontrollgremien den Einblick in internationale Geheimdienstinformationen. »Wir werden ein BND-Gesetz, das schon vor zwei Jahren bei den Sachverständigen als «weltweiter Standard» gegolten hat, noch mal verbessern«, kündigt der Vorsitzende des PKGr Armin Schuster an. Neu hinzukommen muss vor allem technischer Sachverstand. Das Gremium darf nicht mehr allein mit Juristen besetzt sein. André Hahn mahnt: »Die Geheimdienstkontrolle ist zersplittert. PKGr, Vertrauensgremium, G10-Kommission und das unabhängige Gremium – all diese Gremien dürfen über Einzelvorgänge nicht miteinander reden und werden deshalb nicht selten von der Bundesregierung gegeneinander ausgespielt.«

Für Anwalt Moini ist das Urteil nur ein Teilerfolg. »Die Zivilgesellschaft muss weiter kritisch begleiten, was der Gesetzgeber aus diesem Urteil macht. Es liegt jetzt an der Großen Koalition, ob alle Maßgaben umgesetzt werden, oder ob wir in einigen Jahren wieder hier stehen mit demselben Gesetz.«

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