Rambo weint

Das Filmdrama »Monos« folgt einer Gruppe jugendlicher Guerillakämpfer in den Dschungel - und ins Desaster

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Über den Wolken ist die Freiheit nicht grenzenlos. Am wenigsten davon genießt die »Doctora« genannte Geisel (Julianne Nicholson), die im kargen, aber malerischen Hochland in einer verfallenen Bunkeranlage von einer Guerillagruppe gefangen gehalten wird. Doch auch die acht jugendlichen Bewacher der Frau sind, obwohl sie fast vollständig isoliert in dem ansonsten menschenleeren Gebiet leben, nicht frei. Sie werden vom Oberkommando nur an einer langen Leine gehalten. Erscheint dessen Kurier (Wilson Salazar), drillt er die Jugendlichen; es ist aber auch seine Aufgabe, sexuelle Beziehungen mittels einer informellen Heirat zu genehmigen oder eben zu untersagen. »Lobo« und »Lady« - die jungen Leute tragen nur Kampfnamen - dürfen heiraten.

Der Kurier bringt den Jugendlichen eine Kuh mit - eine Leihgabe für die Versorgung der Gruppe mit Milch, betont er - und mahnt, dass die pflegliche Behandlung des Tieres wichtig sei für den Ruf der Organisation bei den Bauern. Doch bei der improvisierten Hochzeitsfeier geht es hoch her, das Kriegsgerät wird zu Partyspielzeug, und »Perro« erschießt die Kuh aus Versehen. »Lobo«, als Kommandant der Gruppe verantwortlich für dessen Handeln, tötet sich selbst.

Bereits vor dieser dramatischen Wende hat der Regisseur Alejandro Landes die Gruppendynamik gezeigt, bei der Gewalt oft präsent ist. So wird »Rambo« (Sofía Buenaventura) anlässlich seines 15. Geburtstags mit einem Gürtel geschlagen, auch die »Doctora« wird zum Mitmachen genötigt. Spielerische Rangkämpfe gehen in Schlägereien über, bei der nächtlichen Party geht es ruppig zu - sind die Schreie des Jugendlichen ausgelassen oder verzweifelt? Dem stehen fast idyllische Szenen der Vertraulichkeit gegenüber, in denen sogar der Machismo - die Jugendlichen wie auch der Kurier gebrauchen »Schwuchtel« als Schimpfwort - mal in Vergessenheit gerät und ein Zungenkuss unter den jungen Männern möglich wird. Als das Versteck der Guerilleros von der Armee entdeckt wird, müssen sie das Hochland mit seiner Perspektive des Feldherrenhügels verlassen und in das undurchdringliche Dickicht des Regenwalds ausweichen. Dort kommt es schließlich zur Eskalation.

Was die Erzählung betrifft, liegt der Vergleich mit William Goldings berühmtem Roman »Herr der Fliegen« nahe, aber die immer mehr ins Desaster treibende »Heldenreise« der Jugendlichen ist keine Robinsonade. Zum ersten Ansatz der Spaltung kommt es, als die Gruppe entscheiden muss, ob sie dem Oberkommando meldet, dass »Perro« die Kuh erschossen hat. Dafür droht ihm die Todesstrafe. Warum also nicht »Lobo« die Schuld zuschieben, der ja ohnehin tot ist? Die verwitwete »Lady« stimmt dagegen.

Man kann die gewalttätige Gruppendynamik in dem kolumbianischen Filmdrama »Monos« als Spiegelbild der Gesellschaft sehen, in der weiterhin Guerilleros und rechtsextreme Paramilitärs aktiv sind, während die Armee oft kaum anders agiert als eine Todesschwadron. Doch der Regisseur verwendet das Guerilla-Szenario nur als Rahmen: Der Name einer Organisation wird ebenso wenig genannt wie die Ideologie, auch über die Vorgeschichte der Jugendlichen und ihre Motive, zur Waffe zu greifen, erfährt man nichts. Dementsprechend gibt es auch keine eindeutige Botschaft. Weder wird die skrupellose Verwendung von Kindersoldaten gegeißelt noch der Guerillakampf heroisiert. »Monos« ist ein Film über Gewalt, der nicht zuletzt wegen seiner düster-surrealen Bildsprache an Francis Ford Coppolas Filmklassiker »Apocalypse Now« erinnert.

Das einzige Gefecht mit der Armee zeigt Alejandro Landes als nächtlichen dämonisch-psychedelischen Trip; die Szenerie wird, wie das Verhalten der Jugendlichen, im Verlauf des Films immer surrealer, begleitet von der sparsam eingesetzten Musik Mica Levis, die mal elektronisch die düstere Stimmung untermalt, mal die bedrohlichen Laute verstärkt, die aus dem Dschungel kommen.

Einen Colonel Kurtz, der sich sein eigenes Reich aufbaut, gibt es hier ebenso wenig wie einen Captain Willard, der die Dinge rabiat wieder ins Lot bringt. Es gibt keinen Ausweg, keine Handlung führt zum angestrebten Ziel, und nichts ist von Dauer, auch die Beziehungen der Jugendlichen untereinander ändern sich ständig auf unvorhersehbare Weise.

»Monos«, gedreht mit durchweg überzeugenden Laiendarstellern, ist ein ebenso sehenswerter wie verstörender Film über jugendliche Gruppendynamik in einer Extremsituation. So etwas wie eine Hauptfigur gibt es nicht in dem Film. Der zurückhaltende, von den anderen hin und wieder als »Heulsuse« verspottete »Rambo«, dessen Rolle als »Post-Gender« konzipiert ist, wird allerdings schließlich so etwas wie eine stille Leitfigur - das ist dann vielleicht doch eine Botschaft.

»Monos«, Kolumbien 2019. Regie: Alejandro Landes; Drehbuch: Alejandro Landes, Alexis Dos Santos; Darsteller: Sofía Buenaventura, Moisés Arias, Karen Quintero, Laura Castrillón, Deiby Rueda, Julián Giraldo, Paul Cubides, Sneider Castro, Julianne Nicholson, Wilson Salazar. 102 Min.

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