Schweden schließt Akte im Mordfall Palme

Anschlag auf Schwedens Premier Olof Palme 1986 soll »Skandia-Mann« verübt haben. Viele Fragen weiter offen

  • Birthe Berghöfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Stig Engström, auch bekannt als der »Skandia-Mann«, soll 1986 den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme erschossen haben. Das erklärte der Chefankläger Krister Petersson auf einer Pressekonferenz am Mittwochmorgen. Da der Verdächtige bereits 2000 verstarb, ist eine Anklage nicht mehr möglich. Eindeutig beweisen lässt sich Engströms Täterschaft allerdings nicht. Die seit Jahrzehnten andauernden Ermittlungen werden nun dennoch beendet.

Der Fall gilt in Schweden als ein Trauma der Nation. Am 28. Februar 1986 fiel der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident in der Stockholmer Innenstadt nach einem Kinobesuch einem Anschlag mit einer Pistole zum Opfer. Ein zweiter Schuss traf seine Frau Lisbeth, die jedoch nur leicht verletzt wurde. Der Kinobesuch des Ehepaars war spontan und daher nicht von Sicherheitsleuten begleitet gewesen.

Mithilfe von Videos und Schaubildern erläuterte Ankläger Petersson, wie Engström den Mord an Palme verübt haben soll. Der Grafiker habe sich an dem fraglichen Abend an seinem Arbeitsplatz im »Skandia-Haus« nahe dem Tatort an der Ecke Tunnelgatan und Sveavägen aufgehalten und diesen kurz vor dem Anschlag verlassen. Als Mitglied in einem Schützenverein soll er Zugang zu und Erfahrung im Umgang mit Waffen gehabt haben, verkehrte zudem in Palme-feindlichen Kreisen.

Stig Engström war damals zunächst als Zeuge der Tat in Erscheinung getreten. Er will vor Ort sogar kurz mit Lisbeth Palme gesprochen haben - was diese nicht bestätigte - und hinter dem Täter hergelaufen sein. In den Aussagen anderer Zeugen finden sich keine Hinweise auf Engströms Anwesenheit am Tatort. Doch Statur und Kleidung des beobachteten mutmaßlich Täters stimmten mit Engströms Aussehen an diesem Abend überein.

Entscheidend für die jetzt erfolgte Einstufung von Engström als Täter seien die Zeugenaussagen von jenem Februarabend 1986 gewesen, erklärte Petersson. Bereits im Februar 2020 hatte er angekündigt, bald wichtige Neuigkeiten in dem Fall präsentieren zu können. Spekuliert wurde daraufhin, dass man endlich die Mordwaffe oder neue DNA-Spuren gefunden habe. Technisch sei es jedoch gar nicht mehr möglich, die Projektile vom Tatort mit der Tatwaffe in Verbindung zu bringen, so Fahndungsleiter Hans Melander am Mittwoch. »Die Projektile sind beschädigt, und zudem weiß man nicht, was in der Zwischenzeit mit der Waffe alles passierte«, sagte er.

Als weiteres Indiz für Engströms Täterschaft wird dessen seltsames Verhalten nach dem Mord angeführt. So hatte er eigentlich eine Urlaubsreise geplant, suchte am Tag nach der Tat jedoch an seiner Arbeitsstelle nach Informationen darüber, wann er diese verlassen hatte. Er behauptete, von der Polizei, der Presse und »Norwegen« verfolgt zu werden. Medien erzählte Engström immer wieder seine Version der Abläufe in der Mordnacht und beklagte sich über ein Desinteresse der Polizei daran.

Tatsächlich stand die Arbeit der Polizei bereits in den ersten Ermittlungstagen wegen enormer Nachlässigkeiten stark in der Kritik. Absperrungen im Zentrum Stockholms waren zu klein, die Kommunikation in der Tatnacht ein Disaster. Chefankläger Petersson schlussfolgert daraus, dass eine professionellere Arbeit damals zur Verhaftung Engströms hätte führen können. »Die Indizien hätten sicher nicht für eine Verurteilung gereicht«, schätzt er ein. Hätten die Ermittler Engström bereits 1986 verhaftet, hätten sie nach Petersson jedoch eine realistische Chance gehabt, die Mordwaffe zu sichern.

Bei den nun beendeten Ermittlungen handelte es sich um eine Untersuchung der Superlative: Es waren mit mehr als 34 Jahren Dauer die längsten und auch die teuersten in Schwedens Kriminalgeschichte. Mehr als 700 Waffen wurden untersucht, rund 130 Menschen bezichtigten sich fälschlich der Tat. Viele Theorien zum Mord und seinen Hintergründen wurden gesponnen.

»Wir haben keine Hinweise auf eine größere Verschwörung hinter der Tat finden können«, betonte Petersson. Ausschließen kann er eine solche allerdings auch nicht. Den Schluss, dass es sich bei Engström um einen Einzeltäter handelte, zieht die Ermittlungsgruppe vor allem aus dessen medialen Auftreten noch Jahre nach dem Mord. Auf den Ausgang des Verfahrens reagierte die schwedische Öffentlichkeit mehr betreten als erleichtert. Das Trauma bleibt.

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