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Der Kampf um die Statuen

Diskussion um Kolonialgeschichte im Ausland

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Statuen von Persönlichkeiten der Kolonialgeschichte
haben schon vor dem gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd in der
Kritik gestanden. Der Protest hat nun aber in vielen Ländern eine
neue Dynamik bekommen.

BELGIEN: Aus Protest gegen die von ihm verantwortete
Schreckensherrschaft im Kongo sind an mehreren Orten Belgiens Statuen
von König Leopold II (1835-1909) mit Farbe übergossen oder umgestoßen
worden. Auch Straßenschilder mit seinem Namen wurden übermalt.
Zehntausende haben Online-Petitionen mit der Forderung
unterschrieben, die Statuen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen.
Einige sind bereits abgebaut. Unter Leopold II wurde der Kongo
systematisch ausgeplündert, Millionen Menschen dort kamen ums Leben.
Das zentralafrikanische Land gehörte noch bis 1960 zum belgischen
Kolonialreich.

Laut Esther Kouablan vom rassismuskritischen Verband mrax haben sich
die Aktionen seit dem Tod Floyds gehäuft, es gab sie aber schon lange
vorher. »Für die afrobelgische Community sind die Statuen in der
Öffentlichkeit wie psychologische Gewalt, weil sie die Verbrechen
banalisieren.«

NIEDERLANDE: Auch hier werden die Forderungen immer lauter, die
eigene Geschichte kritischer zu bewerten: Das 17. Jahrhundert war
nicht nur das Goldene Zeitalter mit Reichtum und Rembrandt, sondern
auch ein blutiges mit Kolonialismus und Sklaverei. Im Zentrum der
Kritik stehen die einstigen Repräsentanten der Handels- und Seemacht:
Piet Hein, Witte de With und Jan Pieterszoon Coen. An sie erinnern
Statuen, Gebäude, Straßen und Tunnel. Eine Statue und ein Gebäude
sind bereits rot beschmiert worden.

Ur-Symbol des Kulturkampfes ist in den Niederlanden seit Jahren der
schwarze Helfer des Nikolaus, der Zwarte Piet. Jedes Jahr erfreut die
schwarz angemalte Figur zwar Kinder, doch sie sorgt auch für heftige
Proteste. Mehrere Städte haben angekündigt, die Figur nicht mehr bei
Nikolausumzügen zuzulassen.

SPANIEN: Hier ist es nur eine kleine Minderheit, die seit jeher die
spanische Kolonialisierung der »Neuen Welt« kritisiert. Eine größere
Diskussion darüber gibt es in dem Land nicht. Daran haben auch die
jüngsten weltweiten Demonstrationen gegen Rassismus vorerst nichts
geändert. Wenn linke Politiker und Organisationen etwa Umbenennungen
von Straßen und Plätzen fordern, stehen vor allem Protagonisten der
Franco-Diktatur am Pranger.

Als die mexikanische Regierung Spanien vor gut einem Jahr darum bat,
sich für die Eroberung und Unterwerfung indigener Völker im 16.
Jahrhundert zu entschuldigen, lehnte die sozialistische Regierung in
Madrid ab. Die Ankunft der Spanier in Amerika vor 500 Jahren könne
aus zeitgenössischer Sicht nicht beurteilt werden, hieß es.

PORTUGAL: In dem Land, das einst zahlreiche Kolonien in Amerika,
Afrika und Asien hatte, gelten die Seefahrer um Pedro Alvares Cabral,
Ferdinand Magellan und Vasco da Gama für die meisten noch als Helden.
Allerdings wurde kürzlich in Lissabon die Statue des katholischen
Theologen und Missionars António Vieira mit roter Farbe beschmiert.
Am Sockel stand groß »Entkolonisierung«.

GROSSBRITANNIEN: Die Bilder, wie die Statue des Sklavenhändlers
Edward Colston in Bristol kürzlich von Demonstranten vom Sockel
gerissen und ins Hafenbecken geworfen wurde, gingen um die Welt.
Seitdem sind Dutzende Skulpturen ins Visier der
Anti-Rassismus-Bewegung geraten. Darunter die von Nationalhelden wie
dem legendären Premierminister Winston Churchill (1874-1965), dem
rassistische Ansichten und eine rücksichtslose Politik in Indien und
Irland vorgeworfen werden. Auch die Statue des Entdeckers James Cook
(1728-1779) ist einer interaktiven Karte von Aktivisten im Netz
zufolge ein Symbol rassistischer Unterdrückung und Gewalt.

FRANKREICH: In Frankreich steht besonders eine Statue Jean-Baptiste
Colberts vor der Nationalversammlung in Paris in der Kritik. Der
Finanzminister unter Sonnenkönig Louis XIV. schrieb den »Code Noir«,
der den Umgang mit den schwarzen Sklaven in den Kolonien regelte.
Nach Aufrufen, die Statue zu zerstören, wird sie Berichten zufolge
nun von der Polizei besonders bewacht. Ähnlich sieht es bei einer
Statue des Generals Joseph Gallieni aus. Er regierte Ende des 19.
Jahrhunderts in den Kolonien mit harter Hand.

Lesen Sie auch: Die Symbolkraft von Denkmälern - und ihres Falls. Im Zuge der weltweiten Proteste gegen Polizeigewalt wurden auch glorifizierende Monumente der rassistischen Geschichte gestürzt

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