Hüfte to go

Bei modernen Operationsmethoden für künstliche Gelenke sind aktive, motivierte Patienten gefragt

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 4 Min.

Wichtige Elemente für die reibungslose Bewegungsfreiheit unserer Gelenke sind Knorpel, die knöcherne Strukturen überziehen - sie übernehmen die Rolle von Stoßdämpfern. Doch im Verlauf des Lebens können sie verschleißen. Der Knorpel wird nach und nach zerstört, begleitet von Entzündungen und heftigen Schmerzen. Alter, Übergewicht bis hin zu Fettleibigkeit (Adipositas) oder auch bewegungsintensive Sportarten bergen ein Arthroserisiko. Überdies können auch Gelenkfehlstellungen oder verschiedenste Krankheiten einen Gelenkverschleiß hervorrufen. Konservative Versuche, Schmerzen zu dämpfen und Verschleiß zu verlangsamen, sind nur für eine gewisse Zeit aussichtsreich. Regelmäßige Gymnastik, Schwimmen oder Radfahren sowie physikalische Therapien lassen den Gelenkersatz hinauszögern, doch oft bleibt am Ende nur der operative Einsatz einer Endoprothese.

Der routinierte Ersatz einzelner Gelenke hat noch keine lange Geschichte. Zunächst waren es Kniegelenke, die Ende des 19. Jahrhunderts bei mehreren Personen durch Implantate aus Elfenbein ersetzt wurden. Der Berliner Chirurg Themistocles Gluck versorgte damit Patienten, deren Kniegelenke durch Tuberkulose zerstört waren. Die Verankerung dieser Elfenbeinimplantate im menschlichen Knochen erfolgte mit einem Gemisch aus Kolophonium und Gips. Elfenbein, so dachte man damals, sei ein dem menschlichen Knochen ähnliches Material, aber die Idee versagte, da nicht beherrschbare Infektionen auftraten.

Die erste künstliche Hüfte, bei der sowohl das Gelenk, als auch das Pfannendach ersetzt wurden - die sogenannte Totalendoprothese -, implantierte 1938 Philip Wiles. Doch die von ihm implantierte Pfanne aus Stahlblech, fixiert mit zwei Schrauben, sowie der mit einem Bolzen fixierte Hüftkopf waren noch nicht stabil. In der Folgezeit wurden Materialien und Techniken verbessert.

Der Brite Sir John Charnley entwickelte den Prototypen der bis heute eingesetzten Hüftprothese. Der Hüftkopf bestand aus Metall, die Pfanne wurde aus Teflon gefertigt. Die erfolgreiche Verankerung dieser Implantate gelang Charnley 1958 durch einen speziellen Zement aus Kunststoff, Polymethylmethacrylat. Die Prothese musste jetzt nicht mehr einwachsen, sondern das »neue Gelenk« war sofort wieder belastbar. Dies kam besonders älteren Menschen zugute. Lange Liegezeiten und ein damit verbundener Muskelabbau wurden vermieden.

Zu Beginn wurden Endoprothesen vor allem bei älteren Leuten eingesetzt, um diese vor einem Leben im Rollstuhl zu bewahren. Inzwischen werden immer mehr jüngere Menschen mit einer Totalendoprothese versorgt. Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Form- und Materialien der künstlichen Knie- und Hüftgelenke und die Verwendung modernster Operationsmethoden erhöhen die Lebensdauer heutiger Gelenke erheblich. Derzeit geht man davon aus, dass 95 Prozent der Prothesen auch nach 10 Jahren noch stabil sind, 90 Prozent sogar nach 15 Jahren. Haltbarkeiten von 20 bis 30 Jahren sind durchaus möglich, sodass auch jüngere Menschen eher mit einem Gelenkersatz versorgt werden.

In die orthopädischen Kliniken zieht derzeit ein neues Behandlungskonzept ein: Die sogenannte Fast-Track- oder Rapid-Recovery-Methode. Die englischen Begriffe stehen hier für ein beschleunigtes Verfahren und eine schnelle Genesung.

Der Patient wird ermutigt, von Anfang an selbst bei der Behandlung aktiv dabei zu sein. Dies beginnt mit einem Vorbereitungskurs, bei dem der Patient Ärzte, Pfleger und Therapeuten kennenlernt. Am Operationstag wird der Patient nicht, wie sonst üblich, im Bett zur Operation gebracht, sondern er darf selbstständig zum Operationssaal gehen. Bereits einige Stunden nach der OP, und hier liegt die große Besonderheit, kann und soll er aufstehen und das neue Gelenk belasten. Ein eigenständiger Toilettengang ist somit am selben Tag möglich, Blasenkatheter oder Wundwasserschläuche fallen weg. Drei Tage später wird er in die ambulante oder stationäre Rehabilitation entlassen.

Zu den Vorteilen, die dieses neue Behandlungskonzept sowohl den Patienten als auch dem operierenden Orthopäden bietet, meint Ulrich Nöth vom Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau in Berlin: »Die Fast-Track-Chirurgie hat die Endoprothetik revolutioniert. Der Patient profitiert vor allem von den klar strukturierten Behandlungsabläufen und der unmittelbaren Mobilisierung. Nach dem Patientenseminar vor der Operation hat der Operateur einen besser informierten Patienten vor sich, dem klar ist, dass er die aktive Rolle im Behandlungsprozess übernehmen muss.« Der Patient sei stärker motiviert und sehe unmittelbar nach der Operation den Erfolg, zu dem er selbst entscheidend beigetragen habe, meint Nöth. »Das spornt nicht nur den Patienten, sondern das ganze Behandlungsteam an und trägt zu einem schnelleren Genesungsprozess bei.«

Die Fast-Track-Methode ist in Deutschland noch Neuland, so der Orthopäde und Unfallchirurg Nöth. In Dänemark und den USA werden solche Operationstechniken bereits seit 1995 eingesetzt. Tradition und ein umstrittenes Abrechnungssystem führen dazu, dass die Kliniken hierzulande bei sinkenden Fallpauschalen an den Mindestverweildauern festhalten. Nöth hält dies für einen Hemmschuh für eine rasche flächendeckende Etablierung der neuen Methoden.

»Wie viel Prozent der Endoprothetik derzeit im Fast-Track-Programm ausgeführt werden, ist schwer zu sagen, weil meist nur Teile dieses Konzepts in den Behandlungspfad eingeführt werden«, erklärt der Chefarzt der Orthopädie und der Unfallklinik des Waldkrankenhauses. Dabei wäre eine Ausweitung der neuen Methode wünschenswert. Denn am meisten profitiert der ältere Patient, da gerade er oft internistische Nebenerkrankungen hat, aber sofort wieder auf die Beine kommen würde. Man weiß heute, dass sich die Sterblichkeit nach Gelenkersatz insbesondere bei den älteren Patienten durch Fast-Track-Programme deutlich reduzieren lässt, so Nöth.

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