Handel mit illegalen Pestiziden wächst sprunghaft

Der Kampf gegen nicht zugelassene Insektenmittel hat eine Leerstelle: Produktion und Export kritischer Wirkstoffe sind nicht verboten

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.

Deklariert wird die Ware meist als »Agricultural Supplements« - landwirtschaftliche Ergänzungsstoffe. Doch hinter dem harmlosen Begriff verbergen sich illegale Pestizide, die Jahr für Jahr in immer größeren Mengen in die Europäische Union exportiert werden. Manchmal mit dem Endziel Osteuropa, oft aber auch zum Verbleib und Einsatz in der Europäischen Union, denn der Handel mit illegalen und kopierten Pflanzenschutzmitteln ist lukrativ.

Etwa das Acht- bis Fünfzehnfache der Herstellungskosten lässt sich mit gepanschten Pestiziden erwirtschaften, so Experten. Die schätzen, dass jährlich etwa elf Milliarden Euro für Pestizide in der EU sowie in Lichtenstein, der Schweiz und Norwegen ausgegeben werden - mindestens 10 bis 14 Prozent davon für illegale Produkte. Die kommen, so die EU-Ermittler, vor allem aus Asien, meist China, wo die Produkte 15 bis 20 Euro pro Liter kosten. In Europa werden die unter Umgehung von Patentrechten und oft mit anderen Zusätzen gepanschten Agrargifte dann für das Fünffache und teilweise auch deutlich mehr verkauft, rechnet Rien van Diesen von der europäischen Polizeibehörde Europol Anfang Juni auf einer Pressekonferenz vor.

Im Rahmen der alljährlich stattfindenden Operation »Silver Axe«, bei der Ermittlungsbeamte aus mehr als 32 Ländern nach gefälschten oder nicht zugelassenen Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln fahnden, wurden in diesem Jahr 1346 Tonnen illegaler Pestizide beschlagnahmt - mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Ein Erfolg, der zugleich aber zeige, dass sich der illegale Pestizidhandel zu einem lukrativen Zweig der organisierten Kriminalität entwickelt habe, so Catherine De Bolle, Europol-Direktorin, vor der Presse.

Dadurch gehen den Unternehmen, darunter in Deutschland Bayer und BASF, Einnahmen verloren, was Arbeitsplätze gefährden könnte. Aber das Ausbringen illegaler Pestizide birgt auch immense Risiken für die Gesundheit der ausbringenden Arbeiter und der Endkonsumenten. So ist beispielsweise der Wirkstoff Chlorpyrifos, nach dem in diesem Jahr besonders gefahndet wurde, in Europa seit Februar 2020 verboten.

Aus gutem Grund, denn das Thiophosphorsäureester ist ein Nervengift, auf das Kinder besonders empfindlich reagieren, so der Berliner Toxikologe Peter Clausing vom Pestizid-Aktionsnetzwerk PAN Germany. Mit dem Verbot bestimmter Wirkstoffe und Präparate sei es jedoch nicht getan: »Zum einen kommt die Nachfrage nicht über Nacht zum Erliegen, zum anderen fordern wir, dass auch die Produktion in Europa und der Export dieser Wirkstoffe in die Welt verboten werden müsste.«

Bei diesem zweiten Schritt herrscht laut PAN massiver Nachholbedarf. Gerade weil die produzierenden Unternehmen trotz EU-weiter Verbote Wirkstoffe und Formeln an Länder verkaufen oder dort herstellen, in denen das legal ist. Eine Praxis, die Studien zufolge ähnlich gefährlich ist wie der Handel mit illegalen Pestiziden. Diese werden, anders als die genehmigten Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel, nicht getestet. Sie können für den Menschen, für Insekten wie die Bienen gefährlich sein - »wir wissen es schlicht nicht«, so Europol-Ermittler van Diesen.

Die Ermittler sehen noch ein weiteres Problem: Selbst wenn kriminelle Händler überführt sind, drohen keine empfindlichen Strafen. Kaum eine Anzeige führe zu einer strafrechtlichen Verurteilung, moniert die Behörde. Viele Verfahren seien eingestellt worden oder enden als Ordnungswidrigkeit mit relativ geringen Bußgeldern - frustrierend für die Ermittler und alarmierend für die legalen Hersteller. Die verlieren laut einer Studie des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) durch die illegale Konkurrenz jedes Jahr schätzungsweise 1,3 Milliarden Euro.

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