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»Das ist Armut per Gesetz«

Jacob Bühler kritisiert als Studierendenvertreter die Coronahilfe des Bildungsministeriums

  • Lisa Ecke
  • Lesedauer: 4 Min.

Welche Schwierigkeiten haben Studierende wegen der Coronakrise?

Viele. Zum einen, dass man in der Lehre alles digital macht. Für viele Studierende ist das schwierig, sie wohnen in Wohngemeinschaften, wo das Wlan langsam ist, wenn alle gleichzeitig online sind. Zum anderen haben viele natürlich finanzielle Probleme. Momentan gibt es kein wirkliches Sicherungsnetz für Studierende, die ihren Job verloren haben. Wir haben in Deutschland 2,9 Millionen Studierende, davon arbeiten circa 60 Prozent. Deshalb war uns schon zu Beginn der Coronakrise klar, dass da was auf uns zukommen wird.

​​​​​​​Jacob Bühler

Jacob Bühler ist Vorstandsmitglied des Freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften (fzs).

Wie ergeht es denjenigen jetzt?

Viele von ihnen arbeiten in der Gastronomie oder auf Veranstaltungen, die häufig komplett ausgefallen sind, und - wie etwa Konzerte - auch weiterhin nicht stattfinden werden. Meistens sind das auch Jobs, die leicht kündbar sind. Wer darauf angewiesen ist, steht grade mit leeren Händen da. Auch deshalb, weil Studierende kein Anrecht auf Arbeitslosengeld haben. Wer das bekommen will, muss sein Studium abbrechen.

Gibt es Studierende, die das getan haben?

Es gibt noch keine zentrale Erhebung dazu. Wir befürchten aber, dass es einige gibt, denen es so ergangen ist, da es drei Monate lang gar keine Unterstützung gab. Es gibt eine Studie eines Personaldienstleisters, die hat ergeben, dass 20 Prozent der Studierenden sich bereits Geld von Freunden oder der Familie leihen mussten, weil sie keinen Job hatten oder ihn durch die Krise verloren haben und ohne Rücklagen auf dem Konto dastanden. Hinzu kommt, dass es teilweise noch Studiengebühren gibt. Das ist etwa in Baden-Württemberg so. Dort müssen ausländische Studierende diese zahlen sowie Leute, die ein zweites Studium absolvieren. Aus dem Ministerium wurde uns zugespielt, dass die Gebühren trotz Pandemie nicht ausgesetzt werden. Nur für Leute, die ihr Studium abbrechen. Die sollen die Studiengebühren dann zurückerhalten. Das ist eine bildungsfeindliche Politik.

Es gibt ja auch Corona-Nothilfen für Studierende, helfen die nicht?

Die reichen von vorne bis hinten nicht aus und kommen zu spät. Es gibt zwei unterschiedliche Hilfen der Bundesregierung, einmal den KfW-Kredit, der als zinsfrei beworben wird, was allerdings nicht stimmt. Was Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der Pressekonferenz aber verschwiegen hat: Ein Kredit ist nur bis Ende März 2021 zinsfrei. Danach müssen die Studierenden einen regulären Zinssatz zahlen, der liegt bei etwas über vier Prozent. Wer das Geld dann erst in ein paar Jahren zurückzahlen kann, hat mehrere Tausend Euro Schulden. Die zweite Hilfe ist ein Überbrückungsfonds, dafür wurde vom Bundesministerium 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese Hilfe kam viel zu spät, wir haben seit drei Monaten spürbar eine Pandemie, und jetzt erst kommt Hilfe!

Ist die Überbrückungshilfe effektiver, als ein KfW-Kredit?

Wir kritisieren auch diese Hilfe. Zwar kann man pro Monat 500 Euro ausgezahlt bekommen, aber nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen: Wer aktuell 400 Euro im Monat hat, erhält 100 Euro, wer 200 Euro hat, bekommt 300 Euro. Man darf also nie mehr als 500 Euro besitzen. Das ist Armut per Gesetz. Bei allen anderen sozialen Sicherungssystemen gibt es viel höhere Freibeträge. Wer ein bisschen was sparen konnte, muss vor Erhalt der Hilfe also erst alles ausgeben. Die soziale Ungleichheit wird dadurch noch weiter verschärft.

Was fordern Sie stattdessen?

Es gibt ein paar Vorschläge. Die Grünen im Bundestag fordern beispielsweise eine Öffnung des Bafög, das sollte etwa elternunabhängig sein. Das wäre die einfachste Lösung: Es ist ein bestehendes System, eine Infrastruktur gäbe es schon. Momentan bekommen nur zwölf Prozent aller Studierenden Bafög. Eine andere Idee ist es, Hartz IV zu öffnen. Da haben wir ein wenig die Sorge, ob mit der Vergabe alles richtig laufen würde. Natürlich könnte man auch eine ganz neue finanzielle Hilfe für Studierende aufsetzen. Da muss dann aber die finanzielle Ausgestaltung stimmen. Das ist ohnehin der Knackpunkt: Egal welche Hilfe, man braucht genug Geld.

Wie hoch müsste eine effektive finanzielle Hilfe sein?

Die momentan geplanten 100 Millionen Euro werden nicht ausreichen. Wenn wir davon ausgehen, dass 40 Prozent der Studierenden ihren Job verloren haben - das sind circa 1,2 Millionen Studierende -, dann erhält jeder keine 100 Euro. Falls wir sagen, alle erhalten 500 Euro im Monat, dann würde die Hilfe nur bei 66 000 Studierenden ankommen. Deshalb forder wir, mindestens eine Milliarde Euro für Studierende bereitzustellen.

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