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Frankreich schaltet sein ältestes Atomkraftwerk am Oberrhein ab

Die Umweltbewegung feiert beidseits der deutsch-französischen Grenze, dass nun die zwei Pannenmeiler im elsässischen Fessenheim definitiv vom Netz gehen

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach mehr als 42 Jahren im kommerziellen Betrieb geht in der Nacht vom Montag auf Dienstag der zweite Reaktor im elsässischen Fessenheim und damit das älteste französische Atomkraftwerk definitiv vom Netz. Reaktor 1 war schon im Februar abgeschaltet worden. Die Menschen im Dreieckland am Oberrhein, von Freiburg im Breisgau, über Straßburg bis ins Schweizer Basel atmen auf und werden das Ereignis wegen Covid-19 nur auf dezentralen Veranstaltungen begehen.

Schon 2012 war der spätere sozialdemokratische Präsident François Hollande mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, den Anteil des Atomstroms im Rahmen einer Energiewende von 75 Prozent auf 50 Prozent zu senken. Passiert ist nichts, weshalb das neue Versprechen von Emmanuel Macron im vergangenen Jahr mit großer Vorsicht aufgenommen wurde, dass Fessenheim 2020 abgeschaltet werden würde. Klar war das lange nicht, wie der Rücktritt von Umweltminister Nicolas Hulot vor zwei Jahren zeigte. Er war machtlos gegen die Atomlobby.

Die hoch verschuldete teilstaatliche Electricité de France (EdF) ließ sich die Abschaltung schließlich mit 434 Millionen Euro versüßen. Atomkraftgegner des Netzwerks «Sortir du nucléaire» (Aus Atomkraft aussteigen) gehen wegen offener Vollzugsklauseln sogar von vier Milliarden Euro aus. Deshalb ist es heute gegen 23.30 Uhr nun soweit, dann wird der Abschaltungsprozess eingeleitet. Das hätte schon am Freitag geschehen können, als sich der Reaktor erneut von selbst abgeschaltet hatte. Doch die EDF fuhr ihn erneut hoch, um ihn am geplanten Termin außer Betrieb nehmen zu können.

«Die Reihe von Pleiten, Pech und Pannen zieht sich bis zum Ende durch», erklärt der Vizepräsident des Trinationalen Atomschutzverbands (TRAS) gegenüber «nd». Für Axel Mayer kommt das Aus «endlich, endlich, endlich, aber viel zu spät». Für die TRAS wurde aber ein «großes Teilziel erreicht», da nun die GAU-Gefahr im Reaktor beseitigt ist, die über Jahrzehnte eine Million Menschen bedroht hatte.

Allerdings sei ein schwerer Unfall weitere drei Jahre möglich, bis sich die Brennelemente in den Zwischenlagerbecken abgekühlt haben. «Sie liegen im Freien und sind extrem schlecht gegen Erdbeben und terroristische Anschläge geschützt», erklärt Mayer. Unsicher sei die Notstromversorgung zur Notkühlung, weshalb weiter eine Kernschmelze ähnlich wie in Fukushima möglich sei. Danach müsse man sich weiter um «kleinere» Gefahren beim Abriss kümmern.«

Für die Umweltbewegung hat sich ihr Engagement gelohnt, da die Laufzeit der Meiler von der französischen Atomaufsichtsbehörde (ASN) zunächst über die 40 Jahre hinaus verlängert worden war, für die sie ausgelegt waren. Sie sind weder gegen Flugzeugabstürze noch gegen Erdbeben wirklich geschützt, dabei liegt Fessenheim in einer Erdbebenzone im Rheingraben, wo es immer mal wieder einmal kräftig bebt.

Die Reaktoren liegen zudem unterhalb der Wasserlinie des Rheinkanals in einem Überschwemmungsgebiet, wogegen sie nur unzureichend geschützt sind. Ein Block geriet sogar schon kurzzeitig außer Kontrolle, da Wasser in nicht gesicherte Schaltschränke eingedrungen war. Ein Meiler musste länger abgeschaltet werden, weil ein Sicherheitszertifikat für einen Dampferzeuger gefälscht war. Obwohl dieser nachweislich am unteren Ende schadhaft ist, erteilte die ASN ihm nachträglich eine Genehmigung.

Es ist der Bewegung gelungen, massiven Druck auf Macron auszuüben, der der Abschaltung zustimmte, ohne dass ein neues Atomkraftwerk in Flamanville ans Netz geht. Frankreich hat die Energiewende verschlafen und steht mit seinem überalterten Kraftwerkspark in jedem kalten Winter vor einem drohenden Blackout, weshalb bisher auch am gefährlichen Strom aus Fessenheim festgehalten wurde. Die Inbetriebnahme des »Europäischen Druckwasserreaktors« verzögert sich derweil wegen immer neuer Probleme mindestens bis 2024. Eigentlich sollte er seit 2012 Strom liefern. Die Kosten sind mittlerweile von geplanten 3,3 Milliarden Euro auf inzwischen mehr als 12 Milliarden explodiert.

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