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  • Politik
  • »Begrenzungsinitiative«

Von links und rechts unter Beschuss

Schweizerische Volkspartei will mit Volksinitiative gegen Einwanderung die Politik wie einst vor sich hertreiben

  • Florian Sieber, Winterthur
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich sollten die Stimmberechtigten schon am 17. Mai über die Volksinitiative der Schweizerischen Volkspartei abstimmen. Doch dann kam das Coronavirus. Über die Vorlage, die die einseitige Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU durch die Schweiz vorsieht, soll nun erst am 27. September entschieden werden. Das Abkommen von 2002 gibt Staatsangehörigen der Schweiz und der EU-Mitgliedstaaten das Recht, Arbeitsplatz und Wohnort frei zu wählen. Laut SVP geht es nun darum, eine »Bevölkerungsexplosion« durch Zuwanderung zu verhindern. Doch es sieht nicht gut aus für das Projekt der Nationalisten. Einer Umfrage der Mediengruppe Tamedia vom Februar zufolge wollten 58 Prozent die Initiative ablehnen. Nach einer Erhebung der Berner Gesellschaft für Sozialforschung sprachen sich Ende Juni bereits 69 Prozent dagegen aus.

In den 1990er und den Nullerjahren hatte die SVP die etablierte Politiklandschaft in der Schweiz mit solchen Initiativen noch vor sich hergetrieben. Praktisch jede Initiative aus ihrer Ecke fand an der Urne Zustimmung. Die Stoßrichtung war klar: Gegen Ausländer und gegen internationale Integration. Ob beim Kampf gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder für ein verfassungsmäßig fixiertes Bauverbot für Minarette - die SVP gefiel sich in der Rolle als Rechtsaußen-Opposition. Der Erfolg der Partei unter ihrem Anführer Christoph Blocher schien unaufhaltbar. Unterstützten bei den Parlamentswahlen 1991 noch 11,9 Prozent die SVP, waren es 2015 bereits fast 30 Prozent. Mit der »Begrenzungsinitiative« als Neuauflage von Blochers Anti-EWR-Kampf setzt die SVP auf alte Schockeffekte.

Gegen das Vorhaben der SVP wenden sich allen voran die Gewerkschaften. »Wenn die Personenfreizügigkeit gekündet wird, dann werden damit auch die flankierenden Maßnahmen gekündet, die ja zur Sicherung von Schweizer Löhnen und Arbeitsbedingungen bestehen«, erklärt der Sprecher des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), Urban Hodel. Beschäftigte, »ob jetzt inländisch oder ausländisch«, würden also soziale Rechte einbüßen. Darauf zielt auch Brüssel in Verhandlungen von EU und Bern über ein Rahmenabkommen, das dem Sonderfall Schweiz samt Lohnkontrollen und Überprüfungen ein Ende setzen will. Derzeit liegen die Gespräche allerdings auf Eis.

Für SGB-Mann Hodel kommt es jetzt darauf an, genau das in den Mittelpunkt der Debatte um die SVP-Initiative zu stellen. »Redet man über das Eingemachte, den sozialen Schutz für die Arbeitenden, dann steht die SVP mit heruntergelassenen Hosen da.« Der Abstimmungskampf biete die Chance, die Frage, wie die Personenfreizügigkeit künftig ausgestaltet wird, in den Vordergrund zu stellen.

Auch im bürgerlichen Lager hat es die SVP es mit ihrem Vorstoß nicht leicht. Weder die liberale FDP noch die CVP-Christdemokraten ziehen mit. Während die Gewerkschaften sich um Arbeitsbedingungen und Löhne sorgen, warnt man dort vor den wirtschaftlichen Folgen der Abschaffung der Personenfreizügigkeit. Diese hätte schließlich die Kündigung weiterer bilateraler Verträge mit der EU zur Folge.

Im Kreuzfeuer von linker wie bürgerlicher Seite stehend, schrumpfen die Aussichten der SVP auf Erfolg - trotz der schier unerschöpflichen Mittel, über die die Partei verfügt. Ihr Nimbus der Unbesiegbarkeit ist der rechten Protestpartei bereits abhandengekommen. 2016 scheiterte die SVP klar mit ihrer Durchsetzungsinitiative zur »Ausschaffung krimineller Ausländer«, bei den Wahlen 2019 sackte sie um 3,8 Prozent ab.

Den SVP-Oberen scheint selbst klar zu sein, dass ihre »Begrenzungsinitiative« beim Wahlvolk keine Wunder wirkt, und die Schweizer Öffentlichkeit dominieren gerade andere Themen. Während die Partei sonst das Land mit Plakaten zupflastert und die Bevölkerung mit Gratiszeitungen eindeckt, merkt man von ihrer Kampagne derzeit kaum etwas.

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