Stirbt ein Tschetschene in Wien

Nach dem Mord an Ansor A. am Samstagabend werden immer mehr brisante Details bekannt

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Samstagabend: Vor einem Supermarkt in einem Randbezirk Wiens fällt ein Schuss. Ansor A. bricht tot zusammen. Ein mutmaßlicher Täter wird wenig später nahe Linz gestellt. Mittlerweile sitzen zwei Verdächtige in U-Haft. Was sich seither entspinnt, ist ein Krimi zwischen Grosny, Wien und Kiew: Es geht um Auftragsmorde, Geld, um Loyalität, vor allem aber geht es um Verrat. Die österreichischen Behörden sprechen von einem Mord mit womöglich politischem Hintergrund, aber auch ein Racheakt im Milieu wird nicht ausgeschlossen.

Ansor A. war der österreichischen Polizei kein Unbekannter. Wegen eines Anschlags auf eine Pizzeria hatte er zwei Jahre in Haft gesessen. Und schon davor, nach dem Mord am Exiltschetschenen Umar Israilow in Wien 2009, hatte er im Visier der Behörden gestanden. Er hatte damals mit Tatverdächtigen zusammengelebt. Alle Spuren in diesem Mordfall führten ins engste Umfeld des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow. Anscheinend hatte Ansor A. auch für diesen gearbeitet. Zuletzt aber gab er offen an, die Seiten gewechselt zu haben - seit einem halben Jahr hatte er im eigenen Videoblog massiv Kritik an Kadyrow geübt. Erst vor einem Monat veröffentlichte der Youtube-Kanal Swobodny ein Interview mit Ansor A. Dort schildert er ausführlich, wie er zunächst für Kadyrows Leute gearbeitet habe, wie er von denen beauftragt worden sei, drei Personen in der Ukraine zu ermorden.

Er nennt Namen, nennt Summen: Es geht um die zwei prominenten tschetschenischen Ostukraine-Veteranen Amina Okujewa und Adam Osmajew sowie den einstigen Feldkommandanten und heutigen Abgeordneten Igor Mossijtschuk, die er hätte töten sollen. Zugleich aber habe er, so Ansor A., Kontakt zu ukrainischen Stellen und zum ukrainischen Geheimdienst SBU aufgebaut und seine Informationen mit diesem geteilt. Dazu habe es hochrangige Treffen in der ukrainischen Botschaft in Wien gegeben und auch Besuche in der Haftanstalt, in der er damals einsaß. Und damit nicht genug: Ansor A. gibt in dem Interview an, er wäre auch beim österreichischen Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vorstellig gewesen, mit dem er seine Informationen geteilt habe. Zum Beleg legt Ansor A. Telefonmitschnitte zwischen ihm und seinen tschetschenischen Auftraggebern vor. Es geht unter anderem um Zahlungsabläufe.

Sollte ihm etwas zustoßen, so sagt er, gebe es viele Möglichkeiten, wer dahinter stecken könnte - Kadyrow-Leute oder die Ukrainer, die ihn seit Dezember 2019 nicht mehr ins Land gelassen hätten und von denen er nicht ausschließe, dass sie seine Identität verkauft hätten. Produziert wurde das Interview bereits im Januar, nachdem die Ukrainer angeblich den Kontakt kappten und Ansor A. begann, öffentlich gegen Kadyrow zu bloggen.

Tatsächlich waren Amina Okujewa und Adam Osmayjew Ziel zweier Anschläge im Juni und Oktober 2017. Okujewa starb im Herbst 2017; Osmayjew überlebte beide Angriffe. Auch Igor Mossijtschiuk entging im Oktober 2017 einem Anschlagsversuch. Unklar ist noch, wie sehr jene Attentate mit der Person Ansor A. zusammenhängen, obwohl sich hier wiederum der Kreis nach Wien schließt. Denn der Mann, den die Behörden als Auftraggeber gegen das Ehepaar Amina Okujewa und Adam Osmajew identifizierten, war bereits im Mordfall Israilow als Tatverdächtiger eingestuft und so auch mit Ansor A. in Kontakt gekommen sein. Artur Denisultanov, alias Dingo, war in den 1990er-Jahren in St. Petersburgs Unterwelt eine kleine Größe. Er tauchte 2008 in einer Polizeistation in Wien auf und beantragte Asyl.

Sein Antrag wurde damals wegen Verwicklungen im Mordfall Israilow abgelehnt. Dingo verschwand und es wurde davon ausgegangen, dass er tot sei - bis er in Kiew im Zusammenhang mit den Attentaten wieder auftauchte. Dort agierte Dingo getarnt als Reporter der französischen Zeitung »Le Monde«, für die er vorgab, ein Interview mit Amina Okujewa und Adam Osmajew zu machen.

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