Siemens spaltet ab

Konzern macht das Energiegeschäft zur Kapitalbeteiligung, Umwelt- und Arbeitsstandards bleiben auf der Strecke

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutschlands Industrie-Ikone Siemens kappt seine Wurzeln. Mit dem geplanten Börsengang von Siemens Energy im September wird sich der Mischkonzern mit Sitz in München zunächst von 55 Prozent seiner Energiesparte trennen. Windparks, Gaskraftwerke und Stromübertragung sollen zu einer reinen Kapitalanlage mutieren. Geschäftlichen Einfluss auf das Unternehmen wolle Siemens zukünftig nicht mehr nehmen. Bei entsprechenden Börsenkursen werde man sich von weiteren Aktien trennen.

Die außerordentliche Hauptversammlung der Siemens AG soll an diesem Donnerstag die Abtrennung der Energiesparte mit ihren 90 000 Beschäftigten beschließen. Geplant ist kein klassischer Börsengang, sondern ein sogenannter Spin-Off: Die Siemens-Eigner, hauptsächlich institutionelle Investoren wie Blackrock oder der Staatsfonds von Katar, bekommen für jeweils zwei Aktien zusätzlich ein Papier von Siemens Energy ins Depot gebucht.

Dagegen stimmen wird der Dachverband der Kritischen Aktionäre. Es sei völlig schleierhaft, wie sich Siemens Energy zukünftig aufstellen und vor allem den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens gerecht werden kann, heißt es in einer Erklärung der Konzernkritiker. »So bleibt der Eindruck, dass der Spin-Off nur eine Variante ist, um sich von einer renditeschwachen Unternehmenseinheit zu trennen«, heißt es im Gegenantrag zu der virtuellen Hauptversammlung.

Genauso lässt sich der 402-seitige Abspaltungsbericht lesen, den Vorstandschef Joe Kaeser im Mai vorlegte. Ziel ist demnach eine »Neuausrichtung, die die Siemens-Unternehmen auf die gewaltigen technologischen Transformationen vorbereitet«. Die »Neue Siemens AG« mit nach Abspaltungen dann noch 300 000 Beschäftigten, zwei Drittel davon im Ausland, soll sich auf die digitale Industrie, intelligente Infrastruktur und Mobilität konzentrieren. Der Medizintechnikbereich wurde bereits 2018 an die Börse gebracht. Der scheidende Konzernchef will mit seiner neuerlichen Strategieänderung einen Niedergang verhindern, wie ihn vergleichbare Mischkonzerne wie AEG und General Electric hinter sich haben.

Kaeser, der sich oft zu Moral und Politik äußert und der Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer einen Sitz im Beratungsgremium für Umweltfragen bei Siemens Energy anbot, setzt auf Politprominenz. Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel soll in den Aufsichtsrat des neuen Konzerns einziehen. Im Mai war der SPD-Politiker und Ex-Berater des umstrittenen Fleischindus-triellen Clemens Tönnies schon in den Aufsichtsrat der traditionell mit Siemens befreundeten Deutschen Bank eingezogen.

Doch was ist mit der Zukunftsfähigkeit? »Siemens Energy hält sich alle Türen offen«, analysiert Regine Richter von der Umweltinitiative Urgewald. Das Gas- und Ölgeschäft stelle der Konzern nicht in Frage, selbst bei der Erschließung neuer Quellen wolle er mitverdienen. In Indonesien beteilige sich Siemens am Bau von Kohlekraftwerken, die von der Siemens-Bank mitfinanziert werden. »So wird das Unternehmen definitiv keine nachhaltige Anlage für Investoren.« Selbst die Windkraftanlagen von Siemens Gamesa, die der neue Konzern übernehmen wird, seien »nicht per se nachhaltig«. Einige stünden in dem von Marokko unrechtmäßig besetzten Teil der Westsahara.

Mit Siemens Energy wird ein Konzern an die Börse gehen, der mit rund 30 Milliarden Euro Umsatz für ein Drittel des Siemens-Umsatzes steht. Der Auftragsbestand von über 70 Milliarden Euro lässt den Vorstand trotz eines Gewinneinbruchs 2019 auf eine goldene Zukunft hoffen. »Kostenmaßnahmen« hat der neue Energy-Boss Christian Bruch bereits eingeleitet. Auf die Beschäftigten dürften daher härtere Zeiten zukommen. Zwar steigt die globale Nachfrage nach Energie, aber auch der Kostendruck. Öffentliche Fördergelder fließen spärlicher. So baut Siemens Gamesa vor der niederländischen Küste einen riesigen Windpark mit einer Gesamtleistung von 1,5 Gigawatt, den der schwedische Energiekonzern Vattenfall nach Medienberichten ohne Subventionen vollständig selbst finanziert. Wind und Sonne sind längst wettbewerbsfähig.

Wenig begeistert sind angesichts kommender Rationalisierungen auch die Vereine der Belegschaftsaktionäre. Siemens müsse auf Dauer mit mehr als 25 Prozent Anker-Aktionär bleiben, um einen Ausverkauf wie bei der ehemaligen Lichttechniktochter Osram zu verhindern, so die Forderung. Dafür könnte Noch-Chef Kaeser sorgen - er möchte an die Spitze des Aufsichtsrates in dem »neuen« Energy-Unternehmen wechseln.

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