Neu verpackt statt neu gemacht

Bundesregierung beschließt »nationale Gleichstellungsstrategie«

»Gute-Kita-Gesetz«, »Starke-Familien-Gesetz« – derlei eingängige Bezeichnungen für meist kleine Verbesserungen in verschiedenen Regelwerken stammen aus dem Hause von Bundesfrauen- und Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Am Mittwoch beschloss das Bundeskabinett ein weiteres Paket aus dem Frauenministerium, dessen Titel etwas sperriger ist: die erste »nationale Gleichstellungsstrategie« der Bundesrepublik. Sie soll sicherstellen, dass künftig in allen Ministerien Gesetzesinitiativen so gestaltet werden, dass bestehende Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts beseitigt werden.

Giffey sprach bei der Vorstellung des 124-seitigen Papiers von einem »Meilenstein«, der Maßstäbe für das Regierungshandeln setze. Es habe »Jahrzehnte« gedauert, bis sich das gesamte Kabinett dazu bekenne und das Thema nicht mehr dem Frauenministerium überlassen werde, sagte sie. In dem Konzept sind neun Ziele formuliert, zu deren Erreichung 67 Einzelmaßnahmen beitragen sollen. Erreicht werden sollen Entgeltgleichheit, die Stärkung der sozialen Berufe – also insbesondere die bessere Bezahlung für die überwiegend weiblichen Beschäftigten – sowie die Schaffung »gleichstellungspolitischer Standards in der digitalen Lebens- und Arbeitswelt«. Zudem soll die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf gestärkt werden. Dafür sollen Erwerbsarbeit und unbezahlte Sorgearbeit gerechter verteilt werden. Zudem sollen Karrierechancen von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen verbessert werden. Weitere Ziele sind die gleichberechtigte Präsenz in Kultur und Wissenschaft sowie mehr Frauen in Führungspositionen des Bundes.

Giffey erinnerte daran, dass Frauen im Schnitt noch immer 20 Prozent weniger Lohn bekommen als Männer, was zu um mehr als 50 geringeren Renten führe. Als schlecht schätzte Giffey die Chancen für eine Abkehr vom Ehegattensplitting ein. Obwohl sie diese anstrebe, werde es in der laufenden Legislaturperiode wohl nicht mehr dazu kommen.

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Nadine Schön (CDU), betonte, eine bessere Bezahlung in sozialen Berufen, in denen überwiegend Frauen arbeiten, sei besonders wichtig. »In der Coronakrise haben wir erlebt, dass die partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit oft daran gescheitert ist, dass Frauen weniger verdienen als ihre Partner«, erklärte sie. Deshalb hätten Frauen den größeren Anteil an der Familienarbeit übernommen.

Politikerinnen von Linkspartei, FDP und Grünen sowie Verbandsvertreterinnen kritisierten das Konzept als zu unkonkret. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt begrüßte Giffeys Initiative, monierte aber, sie bleibe »leider nur ein Appell«, solange es »keine festgeschriebenen Pflichten zur Umsetzung« gebe.

Die gleichstellungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Doris Achelwilm, wies darauf hin, dass in dem Papier hauptsächlich existierende Gesetze aufgeführt seien. Es würden »zu wenig neue, konkrete Maßstäbe« gesetzt. Die Strategie wirke wie eine »Zusammenfassung und Widmung laufender Projekte, müsste aber ein Politikwechsel sein«, erklärte Achelwilm. Ohne das sogenannte Gender Budgeting, also die verbindliche Aufstellung von Haushalten nach Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit, fehle der »entscheidende Dreh- und Angelpunkt«, kritisierte die Abgeordnete. Sie wies auch darauf hin, dass für Lohngerechtigkeit Sanktionsmöglichkeiten nötig seien. Dies ist mit dem Entgelttransparenzgesetz nicht gegeben. Achelwilm forderte darüber hinaus die Überführung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt freute sich auch, dass Gesetzesinitiativen, wie von ihrer Partei gefordert, künftig schon im Entwurfsstadium darauf geprüft werden sollen, ob sie »für die Anliegen und Situation von Frauen förderlich sind«. In Fachkreisen wird diese Methode Gender Mainstreaming genannt. Sie ist seit 1999 erklärtes Ziel der EU, und auch die von 1998 bis 2005 amtierenden rot-grünen Bundesregierungen hatten sich auf die Fahne geschrieben, alle Maßnahmen auf Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen. Was folgte, waren die Hartz-Gesetze. Sie führten dazu, dass Hunderttausende Frauen in den Niedriglohnsektor und in nicht sozialversicherungspflichtige Minijobs abgedrängt wurden. Zudem haben sie seither in den sogenannten Bedarfsgemeinschaften schon nach einem Jahr Erwerbslosigkeit keinen Anspruch mehr auf eigene Transferleistungen und werden so häufig komplett vom Einkommen des Partners abhängig.

Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Elke Hannack, forderte, die Gleichstellungsstrategie müsse institutionell verankert und über die jetzige Legislaturperiode hinaus angewendet werden. Zudem müsse noch in diesem Jahr die von der Koalition geplante Gleichstellungsstiftung eingerichtet werden. Auf deren Gründung hatten sich CDU, CSU und SPD am Dienstag geeinigt. Das Vorhaben war Teil des Koalitionsvertrages.

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