Armut, Gottesfurcht und allgemeine Verunsicherung

Italien erhebt Statistik zu Auswirkungen des Coronavirus

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Verlierer der Krise sind die schwächsten Glieder der Gesellschaft – Frauen, Kinder, Geringverdiener, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, Jugendliche, Familien mit geringer Bildung, Menschen mit physischem oder psychischem Handicap. Dazu hat sich die soziale Durchlässigkeit weiter verschlechtert: Den jungen Menschen von heute wird es nicht besser, sondern tendenziell schlechter als ihren Eltern gehen. Wenn sich nichts ändert, werden sie auch eine leicht geringere Lebenserwartung als ihre Eltern haben. Zu diesen Ergebnissen kommt die erste allgemeine Untersuchung des italienischen Statistikamtes ISTAT nach Ausbruch der Corona-Krise. Durchgeführt wurde sie bereits im April.

Vor allem Frauen sind demnach in vielen Punkten betroffen. Die Arbeit im Homeoffice war, wie wohl überall in der Welt, für Mütter weitaus anstrengender als für die Väter. Hinzu kommt, dass Frauen in Italien sehr viel öfter als Männer in Teilzeit arbeiten – viele von ihnen unfreiwillig. Gerade diese Stellen werden die ersten sein, die gestrichen werden. Frauen arbeiten auch häufiger unregelmäßig, zum Beispiel saisonbedingt in der Tourismusbranche, als Haushaltshilfen oder zu Stoßzeiten in Supermärkten. Deshalb haben sie kaum oder gar kein Anrecht auf Kurzarbeitergeld. Überall dort, wo sie sowieso schon schlechter gestellt waren, hat sich ihre Lage noch weiter verschlechtert.

Das Statistikamt geht davon aus, dass in den nächsten Jahren in Italien noch weniger Kinder geboren werden: Schon jetzt ist das Mittelmeerland mit 1,29 Kindern pro Frau das geburtenschwächste in Europa. Diese Zahl wird sich weiter verkleinern, weil die allgemeine Unsicherheit dazu führt, dass sich Familien nicht vergrößern wollen, obwohl »eigentlich« jede Italienerin gern zwei Kinder hätte.

Über die Hälfte der italienischen Familien hat in den vergangenen Monaten finanzielle Einbußen hinnehmen müssen. Ein Drittel wird dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren, weil die Ersparnisse für das tägliche Leben genutzt wurden und 40 Prozent können größere Raten – zum Beispiel für den Wohnungskauf oder für Autos – nicht mehr bezahlen.

»Mehr als ein Drittel aller Personen erklärt«, so ISTAT, »dass die finanziellen Ressourcen höchsten drei Monate ausreichen würden, um die essenziellen Bedürfnisse der Familie zu bestreiten«. Die Angst vor einem neuen Lockdown ist groß und fast zwei Drittel gaben an, dass sie Ausgaben für Reisen, Urlaub, Restaurant-, Kino- oder Theaterbesuche auch künftig einschränken werden. Trotz staatlicher Hilfsmaßnahmen denkt jeder dritte Betrieb an Schließung und sogar in 60 Prozent der Hotels und Restaurants könnten die Lichter ganz ausgehen. Zwölf Prozent aller Betriebe rechnen damit, dass sie Arbeitskräfte reduzieren müssen.

Für viele Beobachter ist es wahrscheinlich verwunderlich, wie sehr sich die Italiener, denen man sonst ja nachsagt, dass für sie Regeln eher Ansichtssache sind, an die Bestimmungen des Lockdowns hielten. In allen Landesteilen haben sich die Menschen durchschnittlich fast zwölf Mal am Tag die Hände gewaschen und auch noch fünf Mal gründlich desinfiziert. Über 90 Prozent hielten sich an die physischen Abstandsregeln, 80 Prozent haben auf den Besuch von Freunden und Verwandten verzichtet und 72 Prozent die eigene Wohnung weniger als ein Mal pro Tag verlassen.

Das Virus hat die Ärmeren besonders hart getroffen; die Todesraten sind nicht nur bei den Älteren höher, sondern auch bei Personen mit geringerem Einkommen. Die religiöse Einstellung der Menschen scheint sich kaum verändert zu haben: 42 Prozent gaben an, dass sie etwa einmal in der Woche gebetet haben; 22 Prozent jeden Tag.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal