Familienglück, Familiengift

Im Kino: Die Filmkomödie »Wir Eltern« ist ein anderthalbstündiger Werbespot zum Thema Empfängnisverhütung

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Was tun, wenn das Familienglück längst zum Familiengift geworden ist? Wenn die früh- bist spätpubertierenden Kinder den Haushalt dominieren und man als Eltern von den Ergebnissen der offensichtlich fehlgeschlagenen Erziehungsmethoden in den Wahnsinn getrieben wird? Wenn man es nicht schafft, die stinkenden, rülpsenden, chaotischen erwachsenen Söhne endlich aus dem Kinderzimmer zu werfen? Das Künstlerehepaar Ruth Schweikert und Eric Bergkraut hat sich diese Fragen gestellt und seine Familie kurzerhand sich selbst spielen lassen. In »Wir Eltern« versuchen sich die beiden arrivierten Kulturschaffenden, Schriftstellerin und Filmemacher aus der Schweiz, an einer pseudodokumentarischen Abbildung der eigenen Lebensumstände.

Eigentlich sind Vero (Elisabeth Niederer) und Michi (Eric Bergkraut) Bilderbucheltern - das haben sie sich auch selbst einmal so gedacht. Die engagierte Physiklehrerin und Kommunalpolitikerin und der viel beschäftigte NGO-Mitarbeiter scheinen ihren Kindern alles Wünschenswerte zu bieten: Sie sind liberal, verständnisvoll, intellektuell, wohlhabend und im Grunde genommen gar nicht so uncool. Behütet wachsen die drei Sprösslinge Anton (Elia Bergkraut), Romeo (Ruben Bergkraut) und Benji (Orell Bergkraut) in einer Neubausiedlung der Zürcher oberen Mittelschicht auf. Doch im Alltag herrscht scheinbar unbeherrschbares Chaos, ständig wird gebrüllt und gestritten. Während Anton dauernd in seiner Bude kifft, was das Zeug hält, und die fertig gequalmten Joints aus dem zweiten Stock einfach auf den Gehweg wirft, frittiert Romeo mit seiner neuen Freundin, die kurzerhand bei ihm eingezogen ist, auf dem Fensterbrett Pommes. Nicht nur der spießige Hausverwalter (Beat Schlatter) geht da auf die Barrikaden. Weil die Söhne alle Maßregelungen und Ultimaten geschickt zu ignorieren wissen, leidet wiederum das Eheleben der Eltern. Endlich fassen Vero und Michi den Entschluss, dass Ayurveda und Kryotherapie sie nicht aus dem Dilemma der sexbefreiten Dauerfrustration erlösen können.

In seinen besten Momenten bildet der sich anscheinend als Familienkomödie verstehende Film »Wir Eltern« ebendiese hochkomplexe Tragödie der bürgerlichen Familie im 21. Jahrhundert clever ab. Der dem Projekt unweigerlich innewohnende hyperrealistische Ansatz funktioniert dort am besten, wo literarische Ambitionen nicht festzustellen sind, wo der Alltag der Protagonisten einfach in all seiner zwischenmenschlichen Ambivalenz vor sich hinplätschert. Leider haben die Regisseure sich für zwei stilistische Mittel entschieden, die im Laufe des Films einfach nicht so recht aufgehen wollen. Zum einen kommentieren »Erziehungsexperten« stellenweise das Narrativ aus dem Off, geben eher abgedroschene Ratschläge an ähnlich Betroffene. Zum anderen wurde versucht, die Dokumentation am Ende doch noch zur Kurzgeschichte zu machen, indem man aberwitzige Originalitäten und Pointen implementiert. Hier stehen sich, ähnlich wie bei der Kindererziehung, Vorhaben und Ausführung im Weg.

Dass der Film in nur 15 Drehtagen und drei Monaten Postproduktion entstand, addiert sich zu den mehr oder weniger interessanten Randnotizen, die zu seinem Verständnis, fast zu seiner Entschuldigung, erklärt werden müssen. Seine 94 Minuten Laufzeit wirken weniger spontan und erfrischend als vielmehr halbgar und unausgewogen konstruiert. Hilfe zur Selbsthilfe finden hier höchstens frisch verliebte Paare: »Wir Eltern« ist ein hervorragender Werbespot zum Thema Empfängnisverhütung.

»Wir Eltern«, Schweiz 2019. Regie: Eric Bergkraut, Ruth Schweikert; Darsteller: Elisabeth Niederer, Eric Bergkraut. 94 Min.

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