Billigware Fleisch

OECD und FAO erwarten weltweit höhere Nachfrage und sinkende Preise - trotz schädlicher Folgen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Fleischproduzent Clemens Tönnies deckt mit seinen Fabriken, in denen 17 Millionen Schweine pro Jahr geschlachtet werden, ein Drittel des deutschen Marktes ab. In Normalzeiten, die mit der Wiederinbetriebnahme des größten Schlachthofes in Rheda-Wiedenbrück am Donnerstag nach vier Wochen Corona-Zwangspause langsam zurückkehren sollen. Weltweit ist Tönnies mit einem Umsatz von sieben Milliarden Euro »eher ein kleiner Akteur«, lässt sich die Kapitalanlagegesellschaft GS & P vernehmen. Die chinesische WH-Gruppe, die auch in den USA wurstet, das US-Unternehmen Tyson Foods oder Brasiliens JBS spielen in einer anderen Liga.

Einige Konzerne sind mehr als Schlachtbetriebe. Sie decken von der »Produktion« der Tiere bis zur Vermarktung im Discounter die gesamte sogenannte Wertschöpfungskette ab. Dagegen haben die vier großen Fleischkonzerne in Deutschland - Tönnies, Wiesenhof, Vion und Danish Crown - durch Leiharbeit, Werkverträge und spezielle Logistikkonzepte die Wirtschaftlichkeit auf die Spitze getrieben. Dadurch wurde die deutsche Fleischindustrie zum größten Exporteur in Europa. Die »optimierte« Industrialisierung erlaubt es, Fleisch und Wurst selbst in Billiglohnländer wie Rumänien und Bulgarien oder nach Asien auszuführen.

Weltweit beträgt der Umsatz mit Fleisch- und Wurstwaren rund 500 Milliarden Euro, was einem Viertel der globalen Umsätze mit Agrarprodukten entspricht. In ihrem am Donnerstag in Paris veröffentlichten Landwirtschaftsausblick geben der Industrieländerclub OECD und die UN-Ernährungsorganisation FAO auch eine Einschätzung zu den mittelfristigen Entwicklungen auf den regionalen, nationalen und globalen Märkten für Landwirtschafts- und Fischereiprodukte. Ihre »Basisprojektionen«, die einen Mittelwert aus den Erwartungen der Fachleute darstellen, sollen die wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Trends im kommenden Jahrzehnt im globalen Lebensmittelsektor vorhersagen. Die vielleicht wichtigste Aussage im 330 Seiten starken »Agricultural Outlook 2020-2029«: Es wird keine größeren strukturellen Verlagerungen bei der Nachfrage nach Agrarrohstoffen geben. Auch wenn sich die relative Bedeutung von Biokraftstoffen, Nahrungs- und Futtermitteln »nicht signifikant« verändere, werde der globale Lebensmittelmarkt in der Summe aber größer werden. Haupttreiber ist weiterhin die wachsende Weltbevölkerung, aber auch der zunehmende Fleisch- und Luxuskonsum.

Sollte die Politik aus Klimaschutz- und Gesundheitsgründen nicht gegensteuern, wird die Fleischproduktion besonders stark zulegen. Dadurch steigt auch der Futtermittelverbrauch. Und zwar hauptsächlich in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. Der Agrarausblick geht von einer weiteren Intensivierung der Viehzucht und Fischerzeugung aus, die in Kombination mit weiteren Zuwächsen bei der Futtermitteleffizienz im nächsten Zehnjahreszeitraum zu einer global festgelegten Relation zwischen der Erzeugung von tierischen Nahrungsmitteln und dem notwendigen Energie- und Proteinfutter führt.

Heute unterscheidet sich die Futtermittelzusammensetzung aufgrund produktionstechnischer Unterschiede erheblich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. In Ländern mit hohem Einkommen wird erwartet, dass aufgrund von Umwelt- und Gesundheitserwägungen die Ernährung »allmählich« von tierischem Protein auf alternative Eiweißquellen umgestellt sowie in einem ersten Schritt rotes Fleisch, vor allem Rindfleisch, durch Geflügel und Fisch ersetzt wird. Doch selbst für die EU prognostizieren OECD und FAO insgesamt einen Zuwachs an Schweinen, Rindern und Geflügel. Auf Europa entfallen jedoch »nur« zwölf Prozent der globalen tierischen Produktion.

Weltweit wird die Fleischproduktion laut der Schätzung von 328 auf 366 Millionen Tonnen ansteigen. Vor allem im bevölkerungsreichen Asien, wo die Experten ein jährliches Plus von 2,4 Prozent erwarten. Künftig wird auch fast die Hälfte der Produktion dort stattfinden. Gleichzeitig dürfte Asien der wichtigste Exportmarkt für europäische und nordamerikanische Betriebe bleiben.

Für Mensch, Tierwohl und Klima verheißen diese Zahlen nichts Gutes. Das gilt auch für die realen Preise der meisten Erzeugnisse, die voraussichtlich sinken werden. Zwar sind Ressourcenmangel und die durch Einkommenszuwächse ausgelöste stärkere Nachfrage preiserhöhende Faktoren. Doch Produktivitätsoptimierungen, wie sie nicht nur der Tönnies-Konzern vormacht, werden laut den Experten überwiegen.

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