Geht doch!

SCHWARZ AUF WEIß: Jahrzehntelang kamen in deutschen Medien nur weiße »Experten« zu Wort. Black-Lives-Matter hat gezeigt: man kann auch anders.

  • Sheila Mysorekar
  • Lesedauer: 4 Min.

Erinnert ihr euch? Die Black-Lives-Matter-Proteste in Deutschland, Tausende Menschen auf der Straße? Schon ewig her: Anfang Juni, also vor gefühlt hundert Jahren.

Weiland trug es sich zu, dass Redaktionen landauf landab darüber nachsannen, auf welche Weise sie kundtun könnten, dass Untertanen vielerlei Hautfarben sich gegen die Obrigkeit echauffierten. Und siehe da, die Eingebung traf sie wie ein Blitz: eben jene junge Kämpen und schwarzlockige Maiden in ihre Talkshows einzuladen. Daselbst labten die Gäste das hochgeschätzte Publikum mit trefflichen Analysen zu Rassismus. Wahrlich unerhört!

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 170 postmigrantischen Organisationen. Für „nd“ schreibt sie die monatliche Medienkolumne „Schwarz auf Weiß“.

All jene Begebenheiten, liebe Kinder, sind schon lang, lang her. Inzwischen sind wir wieder zur Normalität zurückgekehrt, wo alte weiße Männer die Debatte bestimmen, auch ohne jede Sachkenntnis. Außer Wolfgang Bosbach. Der weiß über alles Bescheid.

Trotzdem interessant, wie die Mediendebatte zu Rassismus und Polizeigewalt in Deutschland gelaufen ist. Einiges war durchaus anders als sonst: Der Tod von George Floyd und die Massenproteste in den USA fanden ein großes Medienecho. Als in Deutschland ebenfalls Zehntausende auf die Straße gingen, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren, da mussten sich auch die Medien mit diesen Themen beschäftigen.

Anfangs auf die übliche Weise: Sandra Maischberger plante für die erste Talkshow zu diesem Thema eine Runde ausschließlich mit weißen Personen; erst nach Protesten wurde eine afroamerikanische Wissenschaftlerin zugeschaltet.

Aber danach sah es anders aus: Bei Markus Lanz analysierte Hadija Haruna-Oelker die Mechanismen von Rassismus; im Zeit-Magazin wurde die Autorin Tupoka Ogette präsentiert, im Spiegel gab es Interviews mit Experten wie Ozan Zakariya Keskinkılıç, und noch weitere in der SZ, in Regionalzeitungen, im Hörfunk. Auf einmal kamen viele kluge Menschen zu Wort: Deutsche aus Einwandererfamilien, Schwarze Deutsche, muslimische Deutsche, die sich sachkundig zu den Protesten äußerten, Soziologen, Politologinnen, Medienschaffende, allesamt BPoC (Black und People of Color).

Nachdem es jahrelang hieß, es gäbe leider, leider, nicht genügend Schwarze Expert*innen, die öffentlich reden könnten, saßen in den Black-Lives-Matter-Wochen auf einmal genau diese Leute in TV-Talkshows, schrieben Kommentare in den Zeitungen, gaben Interviews im Radio. Wo kamen die denn plötzlich her?

Naja. Es gab sie natürlich schon immer. Aber warum sollte man sie interviewen, wenn weiße Experten doch so schlaue Dinge sagen, vor allem über Migranten. Also wie wenn man Veganer über Steaks reden lässt. Oder Tönnies über Tofu.

Obendrein reden BPoC-Expert*innen ja nicht nur über Migration oder Islam oder Integration. Sie können über alle möglichen Themen sprechen – lauter Bosbachs, gewissermaßen. Sie werden nur nicht gefragt.

Müssen erst Tausende auf die Straße gehen, damit in deutschen Medien vier Wochen lang ausnahmsweise mal Schwarze Menschen ihre Sicht der Dinge darlegen dürfen? Denn kaum sind die Black-Lives- Matter-Proteste vorbei, sind wir schon im normalen Feindbild-Modus: Krawalle in Stuttgart und Frankfurt sind natürlich die Schuld von Migranten, »freche und ungehemmte Personengruppen« (BILD), da wird geschwafelt von »Hass und Aggression gegen die Polizei« seitens Muslimen, »die sich als Opfer sehen« (DLF), oder von jungen Männer mit »Migrationshintergrund, vor allem aus dem arabischen Raum«, welche »die Polizei nicht respektieren« (alle). Mit anderen Worten: back to normal.

Aber das darf nicht mehr die Mediennormalität sein, nicht im Jahr 2020. Ein Viertel der Bevölkerung unseres Landes stammt aus Familien mit Migrationsgeschichte. Dieses Viertel medial auf »aggressive junge Muslime« zu reduzieren ist nicht nur verzerrend, es ist rassistisch. Und außerdem unverschämt.

Also, wenn wir wieder eine nicht-rassistische Berichterstattung haben wollen – jetzt wissen wir, wie das geht: Auf die Straße, Freunde der Nacht! Brothers und Sisters, Habibis und Habibtis, Compañeros und Compañeras! Zu Tausenden! So geht Medienpolitik.

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