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Ein kaum erträgliches Beweisstück
Im Prozess gegen den Halle-Attentäter wurde das Video gezeigt, das Stephan B. von seiner Tat aufnahm
Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den Attentäter von Halle blieben anfangs etliche Plätze im tags zuvor noch voll besetzten Magdeburger Gerichtssaal frei. Lücken gab es nicht zuletzt in den drei Tischreihen, in denen die Nebenkläger sitzen: Besucher der Synagoge, auf die Stephan B. am 9. Oktober 2019 einen Terroranschlag verüben wollte; Gäste in dem Dönerimbiss, den er nach Scheitern seines Plans attackierte. Nicht alle von ihnen wollten sich den ersten Punkt auf der Agenda des Gerichts für diesen Tag zumuten: die Vorführung des Videos, das der Angeklagte von seiner Tat aufgenommen und live ins Internet übertragen hatte.
Der knapp 36 Minuten lange Film dokumentiert einerseits, mit welch menschenverachtender Kaltblütigkeit der 28-Jährige vorging. Nicht nur erschoss er eine zufällige Passantin und einen Besucher des Lokals. In beiden Fällen kehrte er zu den Opfern zurück und feuerte weitere Schüsse ab, um, wie er formulierte, »es zu Ende zu bringen«. Etliche Nebenkläger hielten sich bei den betreffenden Passagen die Hände vor die Augen, weinten oder verließen den Saal. Dagegen nahm B. das Video augenscheinlich amüsiert zur Kenntnis: »Er grinst«, rügte ein Anwalt.
Die Aufnahme führte andererseits vor Augen, wie verheerend die Auswirkungen des Überfalls gewesen wären, wenn B. nicht so vergleichsweise dilettantisch vorgegangen wäre. Immer wieder versagten Waffen, die er selbst gebaut hatte, was potenziellen Opfern das Leben rettete. Auch der Versuch, in die Synagoge einzudringen, scheiterte, weil es ihm nicht gelang, die Tür zu zerschießen oder zu sprengen. Im Inneren des Gotteshauses feierten an diesem Tag 52 Menschen Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag. B. gab an, das Datum bewusst gewählt zu haben. Von Bundesanwalt Kai Lohse nach seinen Empfindungen bei Betrachtung des Films gefragt, sagte er lediglich, es sei »schon ziemlich viel schief gelaufen«. Bedauern artikulierte er nicht. Auf die spätere Frage einer Anwältin, was er aus der Tat gelernt habe, sagte er lediglich, er wisse jetzt, wie groß die Mündungsenergie der von ihm gebauten Maschinenpistole sei.
In der Befragung durch Lohse bekräftigte der Beschuldigte, es sei ihm darum gegangen, möglichst viele Menschen zu töten und so »meine Feinde zu besiegen«. Zu diesen zählt er Juden, Muslime und Nicht-Weiße. Auf den Einwand Lohses, dass es sich dabei »um Millionen« Menschen handle, antwortete er: »Einer muss anfangen.« Er habe durch die Übertragung im Internet Gleichgesinnte zu ähnlichen Taten animieren wollen. Das Video, das im Stil eines Egoshooter-Spiels aufgenommen ist, eröffnet B. mit einer expliziten Leugnung des Holocaust. Juden nennt er darin »die Quelle allen Übels«.
Angesichts solcher Äußerungen mutet die Strategie der Verteidigung merkwürdig an. Diese wollte den Eindruck erwecken, B. habe nicht mit Menschen in der Synagoge gerechnet. »Er wusste nicht, ob das vielleicht ein Denkmal und überhaupt zu besuchen ist«, sagte sein Verteidiger Hans-Dieter Weber, und drängte darauf, entsprechende Äußerungen wörtlich zu protokollieren. Der Bundesanwalt betonte aber, es gehe um die »Gesamtwürdigung« der Absicht des Täters. Das Gericht lehnte Webers Antrag ab.
Am Nachmittag begannen Anwälte der Nebenkläger mit der Befragung. Ihr erklärtes Anliegen ist es, die Vernetzung des Angeklagten in einer globalen rechten Gesinnungsgemeinschaft zu belegen, die »auch schon die Terrorangriffe von Christchurch, Poway, El Paso und Oslo und zahllose weitere« auf Juden, Muslime, Farbige und Frauen inspiriert hätten, wie es in einem Blog mehrerer Nebenkläger heißt. Unter anderem drehten sich die Fragen um die Musik, mit der B. sein Tatvideo unterlegt hatte.
Auf eine Frage der Anwältin Kristin Pietrzyk erwähnte der Beschuldigte einen Song namens »Powerlevel«, weigerte sich aber, dessen Inhalt zu referieren. In dem Lied des österreichischen Rappers Mr. Bond ist unter anderem von »Masterrace« (Herrenrasse) als Antithese zu Juden die Rede. Ein Experte hatte den Text im Deutschlandfunk als »nationalsozialistische Propaganda reinsten Wassers« bezeichnet.
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