Abrechnung mit dem Ex

Poroschenkos Anwalt bezeichnet Ermittlungen gegen früheren ukrainischen Präsidenten als politisch motiviert

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Sage und schreibe 25 Ermittlungsverfahren hat er am Hals: Petro Poroschenko, Medienmogul, Oligarch, von 2014 bis 2019 ukrainischer Präsident, jetzt ein Gejagter. Und so ist das, was sich derzeit in der Ukraine entfaltet, ein Justizkrieg von bisher unbekanntem Ausmaß. Und für Anwalt Ihor Golowan ist klar, wo die Frontlinie in diesem Krieg verläuft: Zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj, dem Oligarchen Igor Kolomojskyj - und letztlich Russland - auf der einen Seite sowie seinem Mandanten Poroschenko und den demokratischen Kräften der Ukraine auf der anderen Seite.

Die Intensität der Attacken auf den Ex-Präsidenten ist bemerkenswert. Selenskyj hatte sein Amt noch nicht einmal angetreten, da begann im Frühjahr 2019 das juristische Vorgehen gegen Poroschenko. Amtsmissbrauch, irreguläre Postenbesetzungen, die Verstaatlichung der Privatbank und die Instrumentalisierung der Justiz, so lauten die Vorwürfe. Sein Anwalt führt dabei ins Rennen: »Ein Jahr intensiver Ermittlungen ist vergangen und sie haben nichts gefunden.« Und auch im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Werft Poroschenkos in Odessa sei nichts zutage gefördert worden, was Intransparenz vermitteln würde. Dieser Verkauf war das größte Verdachtsfeld gewesen.

Tatsächlich beklagten Ermittler öffentlich politischen Druck von ganz oben. Zugleich aber hat Poroschenko denkbar wenig getan, um der Justiz des Landes auch nur das geringste Vertrauen entgegenzubringen. Einer Justiz wohlgemerkt, deren Reform ein Kernprojekt seiner Amtszeit war. Ein Punkt, den auch Beobachter in der EU stark kritisierten. Denn die Mammutreform der Justiz, die im kompletten Umfang einen sukzessiven Austausch der Richterschaft, eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaften und vor allem eine Aufwertung der Korruptionsermittlungsbehörden vorsah, stoppte just da, wo es für die damalige Regierung unangenehm wurde: beim konsequenten Aufbau unabhängiger Korruptionsermittlungsbehörden und der Richterschaft.

Dass Poroschenko jetzt auf Vorladungen zu Befragungen nicht reagierte und eine Aussage verweigerte, sich zugleich aber als politisches Opfer stilisiert, sehen Kritiker als eine konsequente Fortsetzung dieser Haltung.

Allerdings besteht letztlich kaum Zweifel an dem politischen Hintergrund des Falls. Anwalt Ihor Golowan sieht vor allem das Staatliche Ermittlungsbüro sowie die Staatsanwaltschaft als juristische Kavallerie der Regierung.

In der Sache gehe es vor allem um die Privatbank. Diese, einst im Eigentum Kolomojskyjs, war 2016 verstaatlicht worden, und führte zum Bruch zwischen Kolomojskyj und Poroschenko. Nun gilt Selenskyj als Mann Kolomojskyjs - und der Oligarch als Strippenzieher hinter dem amtierenden Präsidenten.

Als »absurd und witzig« bezeichnet Golowan die Ermittlungsfälle gegen seinen Mandanten. So geht es in einem Verfahren um die Verlegung von Schiffen von Odessa ins Asowsche Meer, die illegal gewesen sei. Ein anderes Verfahren dreht sich um die Ernennung des Chefs des Militärgeheimdienstes, wobei Poroschenko seine Kompetenzen übertreten habe. In einem anderen Verfahren geht es um die Anerkennung der ukrainisch-orthodoxen Kirche durch Konstantinopel, bei der Poroschenko illegal Einfluss genommen habe.

Ihor Golowan sieht in der Politik der Führung in Kiew vor allem eine Hinwendung nach Moskau. Tatsächlich hatte auch Kolomojskyj, einer der größten Financiers ukrainischer Freiwilligenbataillone für den Krieg im Osten gegen pro-russische Kräfte, zuletzt vor allem mit EU-kritischen und Russland-besänftigenden Wortmeldungen aufhorchen lassen. Seine innerukrainische Priorität ist dabei klar: Die Rückabwicklung der Verstaatlichung der Privatbank, eine für Selenskyj aber politisch äußerst riskante Sache. Dieser hatte im Windschatten der Coronakrise vor allem mit repressiven Maßnahmen aufhorchen lassen. Zuletzt waren Vertreter staatlicher Stellen wie der Zentralbank aus Protest zurückgetreten.

Ob es sich beim Vorgehen gegen Poroschenko denn um ein juristisches Trommelfeuer zur Ablenkung handle oder um tatsächliche Versuche, ihn zu inhaftieren? Ihor Golowan glaubt eher letzteres.

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