Türöffner fürs Kapital

Die Bundesregierung unterstützte nicht nur Wirecard bei seinen Geschäften im Ausland

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Als jetzt bekannt wurde, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer China-Reise im September 2019 ein gutes Wort für Wirecard einlegte, war die Aufregung groß. Was wusste die Kanzlerin damals von den Vorwürfen gegen das Skandalunternehmen? Vergangene Woche wiegelte ein Regierungssprecher ab: »Zum Zeitpunkt der Reise hatte sie keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard.« Doch die Reise wirft noch eine andere wichtige Frage auf: Warum lobbyieren Regierungspolitiker überhaupt so schamlos für deutsche Unternehmen? Machen sie sich damit ganz offen zu Lobbyisten hiesiger Konzerne im Ausland?

Merkels Werben für Wirecard ist kein Einzelfall. Es ist nur deshalb zum Politikum geworden, weil das insolvente Unternehmen mittlerweile ein Fall für die Justiz ist. Regelmäßig reisen Regierungspolitiker von Bund und Ländern ins Ausland, und mit ihnen sitzt immer eine ganze Entourage an Vertretern aus Unternehmen und Verbänden im Flieger - in der Hoffnung, mit Hilfe der Politik schnell einen lukrativen Deal abschließen zu können. Menschenrechte werden da häufig zur Nebensache.

Kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode stellte die Linkspartei im Bundestag eine Kleine Anfrage, in der sie wissen wollte, wer damals alles Merkel und ihre Minister auf Reisen begleitet hatte. Die Liste, die die Fraktion als Antwort bekam, war über 40 Seiten lang. Bei der Kanzlerin besonders häufig im Schlepptau: Siemens-Chef Joe Kaeser. Er war bei acht der zehn Reisen von Merkel zwischen 2013 und 2017 mit an Bord. Auch der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel betätigte sich gerne als Reiseleiter für die Wirtschaft. Als der SPD-Politiker im März 2015 auf die Arabische Halbinsel flog, nahm er 84 Wirtschaftsvertreter auf einmal mit.

Die neue Große Koalition machte 2018 da weiter, wo die alte aufgehört hatte. Allein in ihrem ersten Jahr des Bestehens machten die Kanzlerin, ihre Minister und Staatssekretäre 20 Auslandsreisen, bei denen insgesamt rund 200 Lobbyisten und Manager mitreisten. Die eine oder andere Tour ging dabei in Länder mit zweifelhaftem Demokratieverständnis.

So fuhr etwa Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) im Januar 2019 mit Vertretern aus der Beratungs-, Energie- und Landwirtschaftsbranche nach Aserbaidschan. Gleichzeitig warnt das Auswärtige Amt bezüglich des Landes auf seiner Internetseite: »Internationale Wahlbeobachtungsmissionen stellten ernsthafte Unregelmäßigkeiten in allen Phasen des Wahlprozesses fest und kritisierten den Mangel an echtem demokratischen Wettbewerb.« Auch Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit unterlägen »erheblichen Einschränkungen«. Doch Bareiß stört das wenig. »Aserbaidschan ist der weitaus wichtigste Partner der deutschen Wirtschaft im Kaukasus. Uns verbinden verlässliche Beziehungen«, sagte der Staatssekretär, bevor er losflog. »Die wirtschaftlichen Beziehungen haben aber noch viel Potenzial. Wir wollen ihnen deshalb neuen Schub geben.«

Während der Eurokrise spielten konkrete Unternehmensinteressen sogar eine Rolle beim Poker um Kredite für das in Bedrängnis geratene Griechenland. In die Grundsatzeinigung zum dritten Kreditprogramm diktierten die internationalen Gläubiger, dass Athen »unwiderrufliche Schritte« machen müsse, einige griechische Regionalflughäfen an den Gewinner des Bieterverfahrens zu verkaufen. Und dieser war der Flughafenbetreiber Fraport aus Frankfurt am Main. Zuvor hatte sich insbesondere Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier dafür ins Zeug gelegt, dass Fraport den Zugschlag für die 14 Regionalflughäfen zum Preis von 1,23 Milliarden Euro bekam. Dafür wurde der CDU-Landespolitiker sogar beim damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vorstellig.

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Hessen ist nicht das einzige Bundesland, das die Interessen seiner Unternehmen - mit zum Teil recht zweifelhaften Methoden - im Ausland vertritt. Der Freistaat Bayern gründete 1996 dafür eigens die Agentur »Bayern International«. Dort heißt es ganz offen zum Sinn und Zweck von Wirtschaftsdelegationen: »Sie reisen mit der Delegation in wichtige Märkte im Ausland und knüpfen neue Kontakte vor Ort. Damit erleichtern wir Ihnen den Einstieg in neue Märkte, denn hochrangige Repräsentanten aus Ministerium, Auslandshandelskammern oder anderen relevanten Organisationen stehen an Ihrer Seite.« Bayern hat nämlich Amigos überall auf der Welt.

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