Frankreich debattiert über Polizeigewalt

Innenminister Darmanin nimmt Vorwürfe wegen Übergriffen und Rassismus nicht ernst

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Anschuldigungen kommen aus berufenem Munde: Der Polizei-Unteroffizier Amar Benmohamed, der im »Depot« des Pariser Justizpalastes tätig ist, hat in den Medien über die empörenden Zustände dort berichtet und belastet damit nicht nur eine Reihe seiner Kollegen, sondern auch die Vorgesetzten, die seine wiederholten Meldungen nicht ernst genommen haben. In der Haftanstalt des Justizpalastes werden Verdächtige oder Straftäter vorübergehend inhaftiert, bis sie einem Untersuchungsrichter zugeführt oder aber nach Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens ins Gefängnis überführt werden.

Der 48-jährige Polizist, der auch Vertrauensmann der Gewerkschaft Force ouvrière ist, hat seit 2017 seine Vorgesetzten wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass Häftlinge durch Polizisten erniedrigt, beleidigt und rassistisch beschimpft werden, dass ihnen mitunter über viele Stunden Essen oder medizinische Betreuung verweigert wird und dass es auch immer wieder zu körperlicher Gewalt kommt. »Manchmal haben Kollegen in das Essen gespuckt, bevor sie es einem Häftling gegeben haben, oder wenn er trinken wollte, haben sie ihm einen Becher verweigert, sodass er aus der hohlen Hand trinken musste«, berichtet Benmohamed.

Mehrfach wurden Gefangene durch Polizisten bestohlen. 2018 alarmierte Benmohamed die Polizeiinspektion IGPN, eine Sonderbehörde zur Untersuchung von Vorwürfen gegen die Polizei. Sie vernahm ihn und ließ einen schriftlichen Bericht verfassen. Diese Vorgänge wurden von Benmohameds Vorgesetzten nicht vertraulich behandelt, wie sie gesetzlich verpflichtet gewesen wären, sondern sie sind zu seinen Kollegen durchgesickert, die ihn daraufhin als »Verräter« beschimpft und schickanierten.

Wie durch die Medien bekannt wurde, hat ein Vorgesetzter von Benmohamed einen seiner Berichte mit einer Randnotiz versehen: »Der Mann ist unkollegial, ein notorischer Prinzipienreiter und Querulant. Seinen Vorgesetzten gegenüber hegt er notorisches Misstrauen.« Ein anderer Vorgesetzter warnte ihn unumwunden: »Wenn du die Medien informierst, bis du ein toter Mann.« Die Kontrollinstanz IGPN hat nach monatelangen Untersuchungen festgestellt, dass alle Angaben von Benmohamed zutreffend und nicht übertrieben waren. Sie hat den Fall aber nicht der Staatsanwaltschaft übergeben, sondern dem Pariser Polizeipräfekten. Der hat lediglich ein internes Disziplinarverfahren gegen fünf Polizisten angeordnet, das im kommenden September stattfinden soll.

»Mir ist klar, dass ich bei der Polizei keine Zukunft habe«, stellt Amar Benmohamed bitter fest. »Ich gelte als Nestbeschmutzer, sowohl bei meinen Kollegen als auch bei meinen Vorgesetzten.« Über seinen Anwalt hat er jetzt Anzeige gegen Unbekannt wegen Mobbing erstattet und beantragt, als »Whistleblower« anerkannt zu werden.

Ob sein Fall ein Umdenken bewirkt, ist zu bezweifeln, zumal Innenminister Gérard Darmanin als oberster Dienstherr der Polizei die Vorwürfe wegen Gewalt und Rassismus immer noch nicht erst zu nehmen scheint. So hat er am Dienstag bei einer Anhörung vor einer Kommission der Nationalversammlung zum Fall Cédric Chouviat, der diesen Februar durch Polizeigewalt ums Leben gekommen ist, erklärt: »Wenn ich das Wort Polizeigewalt höre, verschlägt es mir den Atem.« Der 48-jährige Motorradbote war wegen eines Verkehrsdelikts angehalten und nach einem Wortwechsel auf den Boden geworfen und mit den Knien auf seinem Rücken gegen den Boden gepresst worden.

Wie sein später ausgewertetes Mobiltelefon aufgenommen hat, rief er dabei sieben Mal »Ich ersticke!« Dass die Polizisten darauf nicht reagierten, erklärten sie später vor dem Untersuchungsrichter mit dem »Verkehrslärm«, durch den sie nichts gehört hätten. Doria Chouviat, die Witwe des Polizeiopfers, reagierte empört auf Darmanins Äußerung. »Das ist zynisch und bösartig«, sagt sie. Doch der Innenminister hat seine Worte zweifellos mit Bedacht gewählt. »Sie sind als Signal an alle Polizisten gedacht. Dass diejenigen, die für den Tod meines Mannes verantwortlich sind, nicht in Untersuchungshaft genommen, sondern nur bis zum Verfahren vom Dienst suspendiert wurden, war für mich und meine Kinder ein erster Tiefschlag. Die verächtlichen Worte des Ministers jetzt sind der zweite.«

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal