Ein echter Straßenfeger

Gähnend leer war es an der Strecke bei Strade Bianche. Immerhin: Max Schachmann aus Berlin wurde Dritter

  • Tom Mustroph, Siena
  • Lesedauer: 4 Min.

Strade Bianche ist gewöhnlich ein Straßenfeger. Zum Rennen über die weißen Schotterwege der Toskana strömen die Fans zu Tausenden an die Strecke, präsentieren stolz den Staub, der auf ihren Gesichtern liegt und der durch die Pneus der tretenden Millionarios aufgewirbelt wurde.

In Corona-Zeiten ist vieles anders. Und so gab es bei den Strade Bianche das Gegenteil des Straßenfegerbildes zu sehen. Leer gefegt von Menschen war der Startbereich im Inneren der mittelalterlichen Festung der Stadt. Leer gefegt auch die Piazza del Campo, der wie die Ränge eines Amphitheaters sich hinabsenkende Platz im Zentrum der Altstadt. Zuschauer und Rennfahrer sollten getrennt werden. Das sehen die Corona-Regeln vor. Sie ergeben auch Sinn. Gesundheitsschutz geht vor.

Zu paradoxen Situationen führt es aber auch. Denn am Tag vor dem Rennen war die Festung im Rahmen einer Open-Air-Kino-Vorstellung noch gut gefüllt. Auf die Piazza del Campo strömten nach dem Ende des Rennens, kurz nachdem die Absperrgitter abgebaut worden waren, wieder die Menschen. Und auch im Rennen gab es absurde Situationen. »Zum Einschreiben setzen wir Masken auf, im Rennen sind wir dann ohne Masken, zur Siegerehrung werden aber wieder Masken aufgesetzt. Ich bin kein Virologe, aber für mich macht das keinen Sinn«, meinte Ralf Denk, Rennstallchef von Bora-hansgrohe.

Denk will aber nicht den Oberlockerer im Radsportgeschäft geben. Er weiß auch, wie schmal der Grat ist, auf dem der Radsport sich gegenwärtig bewegt. Höhere Infektionszahlen in der Gesellschaft allgemein oder Infektionshotspots im Radsport - und der hoffnungsvolle Auftakt hätte schnell wieder ein Ende gefunden. »Mir ist klar, jedes Rennen kann das letzte sein«, sagte Annemiek van Vleuten, die Siegerin des Frauenrennens, im Ziel. »Es gibt bei uns in den Niederlanden einen Spruch: Nimm, was du kriegst. Denn man weiß in diesen Zeiten ja nicht, was nächste Woche sein wird«, erklärte sie.

Wie es mit dem Radsport weitergeht, ist allerdings auch eine Frage. Es gab in den letzten Tagen positive Tests bei einigen Rennställen. Das Team Israel Start-Up Nation zog einige Fahrer wegen des Kontakts zu einem Infizierten vorsorglich von Rennen in Spanien ab. Bei Frauenrennen in Spanien traten einige Teams gar nicht erst, weil Testergebnisse zu spät kamen. Und bei Strade Bianche wurde kurzfristig der Schweizer Radprofi Sylvan Dillier von der Startliste gestrichen, er hatte einen positiven Test. »Sein Test danach war aber negativ«, erzählte Maximilian Schachmann. Der Berliner wurde Dritter auf den »Weißen Straßen«. Er hatte sich erst im Finale einer wahren Hitze- und Staubschlacht dem Belgier Wout van Aert und dem Italiener Davide Formolo geschlagen geben müssen. Mit seiner Leistung etablierte sich Schachmann aber endgültig im Kreis der Klassikerspezialisten.

Die Gefahr, wie Berufskollege Dillier selbst einer Testlotterie zum Opfer zu fallen, sieht er verhältnismäßig gelassen. »Das kann natürlich passieren. Die Tests sind ja nicht zu 100 Prozent zuverlässig. Da kann es geschehen, dass man ein Rennen verpasst. Das gehört halt zu diesen Umständen dazu«, sagte er zu »nd.Der Tag«.

Sein Teamchef Ralph Denk ist da schon mehr in Sorge. »Was geschieht, wenn ein Star oder gar der Träger des Gelben Trikots wegen eines positiven PCR-Tests herausgezogen wird? Und der stellt sich im Nachhinein als falsch positiv heraus?«, unkte Denk. Er gab zu, selbst auch keine Lösung zu wissen. Er regte immerhin an, sich an der Dopingkontrollpraxis zu orientieren. »Da gibt es auch eine B-Probe zur Bestätigung der A-Probe«, meinte er.

Wie schnell dies machbar ist, vor allem bei den Etappenrennen, bei denen es Tag für Tag auf die Strecke geht, ist aber unklar. »Wir haben bei unseren Tests bisher gute Erfahrungen mit Labors in Österreich und Deutschland gemacht. Aber keiner kann uns garantieren, dass die Ergebnisse immer schnell kommen«, meinte er.

Für die Tests, die die Teams weitgehend selbst finanzieren, schätzt er einen Kostenaufwand von 50 000 bis 100 000 Euro bis Saisonende ein - eine Belastung für einen Profirennstall. Wenn dann auch noch die mediale Reichweite sinkt, weil Journalisten nicht zu den Fahrern gelassen werden - bei der Tour de France sollen alle Begegnungen zwischen Teams und Journalisten verboten werden -, dann leidet auch die wirtschaftliche Basis des Radsports. »Wir müssen eine Balance zwischen den Gesundheitsanforderungen und der Werbereichweite finden. Gelingt das nicht, wird das ganze System nur kurzzeitig funktionieren«, so Denk.

In Siena waren bereits die Bruchstellen des Corona-Konstrukts im Radsport zu sehen. Die Atmosphäre an Start und Ziel war eher gespenstisch. Kurze Gespräche auf Sicherheitsabstand waren auch den wenigen angereisten Journalisten nur mit den jeweils ersten Drei des Rennens möglich. Allein an den einsamen Schotterpisten unterwegs versammelten sich einige Zuschauer. Dort kamen sie den Fahrern so nah, dass es schien, als würden sich alle darauf verlassen, dass der aufgewirbelte Staub als Aerosolbarriere funktioniere. Es gibt noch allerhand zu feilen am Post-Corona-Konzept des Umsonst- und Draußensports.

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