• Kultur
  • Mode und eine Systemkritik

»Michelle Elie fällt immer auf«

Die Kuratorin Mahret Ifeoma Kupka über die sozialen Funktionen von Mode und eine Systemkritik von innen

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 7 Min.

Ihre neue Modeausstellung über die Designerin Michelle Elie ist überschrieben mit dem Titel »Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons.« (Das Leben macht mir keine Angst. Michelle Elie trägt Comme des Garçons) Ist das Leben weniger furchteinflößend mit den richtigen Kleidern am Leib?

Das würde ich schon sagen. Kleidung gibt einem die Möglichkeit, die Art, wie man in die Welt tritt und wahrgenommen wird, zu gestalten und zu beeinflussen. Insofern kann die Wahl dessen, was man anhat, einen dabei unterstützen, weniger furchtsam in die Welt zu gehen.

Mahret Ifeoma Kupka

Mahret Ifeoma Kupka ist Kuratorin für Mode, Körper und Performatives am Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. Neben ihrer Tätigkeit am Museum ist sie Beiratsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Ulrike Wagener sprach mit ihr über die Modesammlerin Michelle Elie, Schönheitsideale und Schwarze Körper im Museumsraum. Schwarz wird im Text großgeschrieben, um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine soziale Kategorie handelt, keine biologische Eigenschaft.

Die Stücke der japanischen Modedesignerin Rei Kawakubo fordern unsere Sehgewohnheiten heraus. Sie arbeitet mit aufgeplusterten, bunten Stoffen, Knoten und Kleidung, die über den Körper hinausragt. Aber die Ausstellung thematisiert nicht nur das Design, sondern auch die Sammlerin und Trägerin Michelle Elie. Warum?

Das hängt damit zusammen, wie ich Mode grundsätzlich versuche auszustellen, nämlich dass es nicht nur um das Design und das handwerklich Gemachte an sich geht, sondern immer auch um den Kontext drum herum. Sei es der Entstehungskontext, der besonders wichtig ist, die Zeit, in der das Stück entstanden ist oder eben - wie im Fall Michelle Elie - wie sich das Stück angeeignet und wie es getragen wird. Es hat mich fasziniert, wie Elie die Stücke stylt, damit umgeht, wie sie diese trägt, was sie erlebt im Tragen, wie die Stücke Einfluss nehmen auf ihre Körpererfahrung.

Was ist besonders daran, wie sie die Stücke trägt?
Also schon allein, dass sie sie trägt, ist besonders; und sie trägt sie zusätzlich mit einer ganz interessanten Selbstverständlichkeit. Die Stücke sind unterschiedlich extrem, einige sind, also andere Menschen würden sagen, komplett untragbar oder sie stellen einen vor Herausforderungen, weil man im Tragen auf Mithilfe angewiesen ist. Sei es, dass man durch Türen durchgedrückt werden muss oder die Arme nicht richtig benutzen kann und man auf eine Assistenz angewiesen ist. Elie begibt sich damit auch in eine Abhängigkeit - und das ganz bewusst. Und dann gibt es aber auch Stücke, die sind alltagstauglicher. Aber trotzdem: Michelle Elie fällt immer auf. Das ist, was sie tut. Was sie sich auch leisten kann, das muss man auch sagen, aber das ist ihre spezielle Form der Raumnahme. Für mich hat das auch eine politische Dimension.

Inwiefern?

Das führt uns zu dem Anfangssatz zurück: Life doesn’t frighten me. Elie ist in Haiti geboren und mit den Eltern in die USA ausgewandert. In diesem Kontext ist sie groß geworden. Da hat dieses »etwas hermachen« eine große Rolle gespielt. Es war wichtig, eine gewisse Form zu repräsentieren. Nicht nur im Sinne von Statusrepräsentation, sondern auch als Haltung dem Leben gegenüber.

In einem Interview mit der »Vogue« hat Elie einmal die Stücke Rei Kawakubos mit einem Kokon oder Schutzschild verglichen. Spielt dabei der Name des Labels Comme des Garçons eine Rolle, geht es darum, sich »wie Jungs« durch die Welt zu bewegen?
Also für Kawakubo selbst hat es tatsächlich etwas damit zu tun. Sie hat sich sehr früh den japanischen Vorstellungen davon, wie eine Japanerin zu sein hat, entzogen. Sie ist studieren gegangen und dann hat sie auch noch so ein Modelabel gegründet und damit versucht, sich den Raum so zu nehmen, wie sich Männer, wie sich Jungs den Raum nehmen. Ihre Mode hat die Idee der adrett, schön anzusehenden Frau komplett dekonstruiert. Sie nimmt überhaupt keine Rücksicht auf Körperformen oder die Verschönerung von Körperformen.

In den Videos zur Ausstellung spricht Elie von einer Schönheit in der Unförmigkeit.

Ja, sie hat einmal gesagt, dass es ihr erst total schwer gefallen sei, die Stücke Kawakubos zu tragen, weil sie ausgerechnet die Stellen ihres Körpers betonten, ja auspolsterten, die sie nicht so gerne mochte. Elie hat in den 90ern als Model gearbeitet. Das war nicht leicht, weil sie nicht ganz dem Modeltyp entsprochen hat, der in dieser Zeit gefragt war. Sie war immer zu klein, sie hatte Rundungen an den Stellen, wo es gerade nicht gewünscht war und dann war sie auch noch Schwarz. Über Rei Kawakubo hat sie zu einem neuen Selbstbewusstsein in ihrem Körper gefunden, weil sie dachte: »Wow, da ist eine Frau, die ausgerechnet all das betont und übertreibt, was ich eigentlich die ganze Zeit versuche zu kaschieren.«

Würden Sie darin auch eine Art Aufforderung an das Publikum sehen, sich mit Schönheitsidealen auseinanderzusetzen?
Ja, allerdings anders als vielleicht zunächst angenommen. Das sollte man nicht missverstehen. Viele denken, Rei Kawakubo sei »Body Positive« in dem Sinne, wie es zurzeit breit diskutiert wird, und vertrete Schönheit jenseits gesellschaftlicher Schönheitsideale. Ich finde nicht, dass sie das tut. Ich denke, sie hat schon eine Vorstellung von dem Körper, den sie da anzieht. Es bleibt ein klassischer Modelkörper, den sie allerdings nicht verherrlicht. Sie betrachtet ihn eher wie eine Kleiderstange, an der sie sich abarbeitet. Sie sprengt das System nicht. Sie bleibt innerhalb der klassischen Modestrukturen, sie macht zwei Kollektionen pro Jahr und zeigt sie in Paris, der Königin der Fashion Weeks. Aber dann muss man sich auch fragen: Ist es überhaupt möglich, aus dieser Struktur auszubrechen und eine Mode zu machen, die mit dem Mythos Mode bricht? Ich glaube, es ist tendenziell erfolgversprechender wie Kawakubo es macht, indem sie dem System permanent den Spiegel vorhält - innerhalb des Systems.

Michelle Elie trägt ihre Designerstücke auch auf der Straße, da sehen sie andere Menschen als die, die zu den Modenschauen kommen. Ist das eine total absurde Zurschaustellung von Reichtum oder eine Art subversiver Akt?

Im Fashion-Week-Kontext ist es eher nicht absurd, weil es dort normal ist, diese Mode zu tragen. Das gehört dazu. Im Alltag, jenseits der Fashion Welt, ist den meisten wahrscheinlich gar nicht bewusst, was sie trägt. Sie trägt keine klassischen Statussymbole, die jeder erkennt, wie zum Beispiel eine Rolex. Ich glaube, ihr Auftreten wird von vielen eher als Kuriosität wahrgenommen, bestenfalls als subversiver Akt, der vermeintlich Gewohntes herausfordert.

In den Videos zur Ausstellung spricht Elie häufig so enthusiastisch von Kleidungsstücken, dass man Lust bekommt, sich auch selber auszuprobieren. Wie sehen Sie diesen Spaß an der Mode im Zwiespalt mit der Modeindustrie, den Herstellungsbedingungen?
Das kommt natürlich darauf an, was das Verständnis von Mode ist. Für mich ist Mode nicht, tütenweise Fast Fashion zu konsumieren, die man nach einmal Tragen entsorgt, sondern hat auch mit Verantwortung zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass ein Bewusstsein für sich selbst, darüber, wer man ist und wie man in der Welt sein möchte, auch einen Einfluss darauf hat, was man trägt. Es ist eine Kunst, das genau Passende zu finden. Es ist aber auch ein Privileg, denn viele haben weder Zeit noch Geld, sich umfassend auf die Suche nach diesem Passenden zu begeben. Doch es geht auch im Kleinen. Wenn ich nicht jeden Trend mitmachen muss, sondern danach schaue, was mir steht, was mir gefällt, welche Materialien ich mag, womit ich mich umgeben will und womit nicht, dann ist das der erste Schritt zu nachhaltigem Konsum. Elie sagt immer, sie wählt die Stücke nicht nach Trends aus oder einem Sammlerwert, sondern nach ihrem Gefühl, das Stück tragen zu wollen. Sie spricht von ihren »Girls«, sie hat eine emotionale Bindung zu jedem einzelnen Stück.

Sie haben mit Michelle Elie im Kontext der Ausstellung auch über die Black-Lives-Matter-Proteste gesprochen. Welche Rolle hat das gespielt?

Für mich hat das von Anfang an eine große Rolle gespielt. Ich bin neben meiner Arbeit als Kuratorin politisch aktiv und engagiere mich seit Jahren gegen Rassismus und für die Sichtbarkeit diverser Perspektiven. Bei dieser Ausstellung kommt das alles zusammen. Es geht um Elies Interpretation und Aneignung der Stücke von Comme des Garçons und auch um die Repräsentation von Schwarzen Körpern im Museumsraum. Uns beiden war schnell klar, dass die Schaufensterpuppen, die wir verwenden, Schwarz sein würden, geformt nach dem Abbild Elies.

Bis 1. November ist im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main ihre Ausstellung »Life doesn’t frighten me. Michelle Elie wears Comme des Garçons« zu sehen.

»Life doesn’t frighten me Michelle Elie wears Comme des Garçons«, bis 1.11., Museum Angewandte Kunst, Schaumainkai 17, Frankfurt am Main

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal