Schulstart mit Risiken

Bildungssenatorin will Unterricht ohne Masken und mit voller Klassenstärke

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

Ohne Abstandsregel und Mund-Nasen-Schutz im Klassenzimmer, dafür mit kostenfreien Teststellen für Lehrkräfte: So stellt sich die Senatsbildungsverwaltung den Schulstart in Berlin am kommenden Montag vor. In der Pressekonferenz nach der Senatssitzung am Dienstag erklärte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ihren Plan. Das ausgegebene Ziel: In der Hauptstadt soll trotz der Corona-Pandemie im neuen Schuljahr wieder durchgehender Präsenzunterricht in vollem Umfang für alle Schülerinnen und Schüler stattfinden. »Es ist gut, dass wir jetzt wieder in den Regelbetrieb einsteigen«, sagte Scheeres. »Trotz des anhaltenden Gesundheitsschutzes wollen wir dem Recht auf Bildung nachkommen und Familien entlasten«, sagte die Senatorin.

Dass die Schülerinnen und Schüler wieder in den Unterricht und ihre Eltern zur Arbeit gehen können, sei auch für die Wirtschaft enorm wichtig. »Grundsätzlich gilt in Berlin die Schulpflicht«, so Scheeres. Ausnahmen davon soll es lediglich für Kinder mit Vorerkrankungen geben. Für diese Fälle soll es individuelle Beschulungsmöglichkeiten wie Einzelunterricht oder Online-Lösungen geben. »Aufgrund von Corona haben wir weiterhin spezielle Rahmenbedingungen«, mahnte Scheeres.

Nichtsdestotrotz hat sich Berlin entgegen dem Rat von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zur generellen Einhaltung der Maskenpflicht und Abstandsregeln an Schulen gegen eben diese Maßnahmen entschieden. So soll der Mund-Nasen-Schutz nur im Schulgebäude, auf Fluren, in Aufenthalts- und Gemeinschaftsräumen oder der Toilette getragen werden. In Unterrichtsräumen, auf dem Pausenhof oder im Hort soll die Maskenpflicht indessen nicht gelten. Das Gebot, mindestens 1,5 Meter Abstand zwischen Personen einzuhalten, ist für den Schulbetrieb ganz abgeschafft. Lediglich im Lehrerzimmer soll der Mindestabstand noch eingehalten werden müssen. Damit darf im neuen Schuljahr auch der Sport-, Musik- und Theaterunterricht wieder stattfinden.

»Schule mit Abstand ist im Regelbetrieb unrealistisch und auch nicht möglich«, sagte Scheeres. »Im Moment ist es nicht vorstellbar«, so die Bildungssenatorin, »dass Kinder im Schulunterricht in Berlin zukünftig Masken tragen werden.« Es werde auch kein Kind nach Hause geschickt, wenn es keinen Mund-Nasen-Schutz mitbringe. Für diesen Fall sollten die Schulen einen gewissen Vorrat an Schutzmasken im Sekretariat hinterlegen. Sollte sich ein Kind weigern, eine Maske zu tragen, werde zunächst das pädagogische Gespräch gesucht. Auch die Eltern könnten einbestellt werden. Bei wiederholter Verweigerungshaltung könne auch ein Bußgeld verhängt werden, wie Scheeres ankündigte.

Die Wochen und Monate vor den Sommerferien mit geteilten Lerngruppen, kaum Präsenz und digitalem Unterricht seien für alle am Schulbetrieb Beteiligten äußerst schwierig gewesen, betonte Scheeres. Dabei seien bei dem ein oder anderen Schüler Lernlücken entstanden. Um diese möglichst schnell zu schließen, sollen die Lehrkräfte zu Beginn des Unterrichts den individuellen Lernstand überprüfen. Auf dieser Basis sollen dann entsprechende Konzepte und Fördermaßnahmen erarbeitet werden.

Um das Covid-19-Infektionsgeschehen bei allen Lockerungen im Schulbetrieb beurteilen zu können, richtet der Senat fünf Teststellen ein, an denen sich das Schulpersonal kostenlos überprüfen lassen kann. Die rund sieben Prozent der Berliner Lehrerschaft, die nach Angaben der Bildungsverwaltung aufgrund ihres Alters oder Vorerkrankungen zur Corona-Risikogruppe gehören, sind von der Unterrichtspflicht mit Präsenz ausgenommen. »Natürlich kann es auch passieren, dass wir wieder schlechtere Infiziertenzahlen bekommen«, sagte Scheeres. Für den Fall eines Worst-Case-Szenerios hat die Bildungsverwaltung in den Sommerferien einen Plan erarbeitet. Auch eine Notbetreuung an den Schulen und Kitas für Kinder von Eltern, die in systemrelevanten Berufe arbeiten, soll sichergestellt werden. Trotz aller Risiken und Nebenwirkungen, die die geplante Wiedereröffnung der Berliner Schulen mit sich bringt, hatte die Bildungssenatorin am Dienstag auch aus ihrer Sicht Erfreuliches zu verkünden. Mit 36 800 Erstklässlern werden in diesem Schuljahr so viele Kinder wie noch nie eingeschult. Zufrieden zeigte sich Scheeres auch mit den Neueinstellungen von Lehrpersonal. So konnten allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz in den Sommerferien 2506 neue Lehrkräfte eingestellt werden.

Die Bildungsgewerkschaft GEW übte indes scharfe Kritik an den Plänen zur Schuleröffnung. »Wir verstehen das Bedürfnis nach einem geregelten Schulstart. Aber wir halten es für unverantwortlich, die Gruppen- und Klassengrößen wieder auf das Vor-Corona-Niveau anzuheben und auf Abstandsregeln zu verzichten. Auch die Erfahrungen mit dem Lernen in kleinen Gruppen sind unbeachtet geblieben«, sagte Berlins GEW-Chefin Doreen Siebernik. Unter den Lehrkräften herrsche »riesige Unsicherheit«, wie der Schulalltag mit den einzuhaltenden und mitunter widersprüchlichen Hygiene- und Schutzmaßnahmen gestaltet werden solle.

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