Profiteur der Corona-Pandemie

Olaf Scholz ist Kanzlerkandidat der SPD – damit droht der Partei ein weiteres Desaster, meint Matthias Micus.

  • Matthias Micus
  • Lesedauer: 3 Min.

Olaf Scholz wird Kanzlerkandidat der SPD. Damit wird der an Winkelzügen nicht eben armen jüngeren SPD-Geschichte eine weitere Volte hinzugefügt. Schließlich ist es nicht mal ein Jahr her, dass ihm die Sozialdemokraten bei der Urwahl ihrer Parteivorsitzenden eine unerwartete Niederlage zufügten - wobei das Motiv, damit zugleich seine spätere Kanzlerkandidatur zu verhindern, eine wesentliche Rolle gespielt haben dürfte.

Die erratischen Stimmungswechsel und - mit Blick auf das ewige Hin und Her in der Haltung vor allem zu Hartz IV - auch Kurswechsel der SPD resultieren nicht zuletzt aus der allenfalls punktuell unterbrochenen Niederlagenserie der Partei seit der Verkündung der Agenda 2010. Zum Verhaltensrepertoire, mit dem Menschen wie Mitgliederorganisationen auf bittere Niederlagen reagieren, gehören Übersprunghandlungen und die Anhänglichkeit an vermeintliche Heilsgestalten, von denen man eine Auflösung der eigenen Unsicherheit erhofft. Liefert diese dann nicht sogleich, wendet sie nicht unmittelbar das Schicksal, dann schlägt Zuneigung rasch in Frustration um.

Oder umgekehrt. Wobei die Sympathiewerte von Scholz stark mit den demoskopisch erhobenen Meinungen über die Große Koalition korrespondieren. Noch im Dezember 2019 war die Koalition ausgesprochen unbeliebt, nicht nur in der SPD, sondern in der Bevölkerung insgesamt. In der SPD war das die Zeit, als die Jusos lautstark für einen Ausstieg aus dem Bündnis trommelten.

Dann kam die Pandemie, es schlug die Stunde der Exekutive und insbesondere diejenigen profitierten, die auf den zur Krisenbewältigung zentralen Posten saßen und auf die sich die Medienaufmerksamkeit konzentrierte. Neben der Kanzlerin betraf das vor allem den Finanzminister Scholz, der federführend die Rettungspakete im Bund und in der Europäischen Union mit ausarbeitete.

Selbst in der SPD ist die Kritik an der Großen Koalition heute weitgehend verstummt. Dazu haben auch innerparteiliche Entwicklungen beigetragen. Die SPD ist ihrer beiden Vorsitzenden nach wenigen Monaten schon überdrüssig. Im Ergebnis führt das zu einer neuen Würdigung von Erfahrung, Sachorientierung, Entscheidungsfähigkeit, insgesamt: Regierungskompetenz. Von ihrer Sehnsucht nach politischem Anti-Establishment ist die Sozialdemokratie einstweilen geheilt. Und der Profiteur dieser Rehabilitation des nüchtern-pragmatischen Politikprofis in der SPD ist als regelrechtes Musterbeispiel dieses Typus’ Olaf Scholz.

So weit, so klar. Doch damit die Wahl für die SPD nicht zu einem abermaligen Desaster wird, müssen drei Bedingungen erfüllt sein. Erstens bedarf es der Übereinstimmung von Kandidat und Wahlprogramm. Es ist eine Binsenwahrheit der Parteienforschung, dass die langfristigen Absichten mit dem tagespolitischen Handeln zusammenpassen müssen und beides mit dem Profil des Spitzenkandidaten übereinstimmen muss.

Zweitens kann andere nur überzeugen, wer selbst überzeugt ist oder zumindest so wirkt. Dafür aber braucht es eine geschlossene Kampagne, die von den Mitgliedern mitgetragen wird. Das spricht eher gegen ein im Wesentlichen sozialpolitisch ausgerichtetes linkes Umverteilungsprogramm, das der Lebenswirklichkeit der mehrheitlich gut situierten, mittelständischen, aufstiegsorientierten SPD-Mitgliedschaft nicht entspricht, und für die Betonung von Sicherheit - sowohl gegen Gefahren des sozialen Abstiegs als auch gegen Bedrohungen durch Kriminalität. Mithin für eine politische Ausrichtung, für die in der Vergangenheit neben dem Ex-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel vor allem Olaf Scholz geworben hat. Womit ganz nebenbei auch ein Kurs eingeschlagen würde, den die Linkspartei und - ergänzt um die Sicherung der (Über-)Lebenschancen der kommenden Generationen - die Grünen mitgehen könnten, der also die Option eines rot-rot-grünen Bündnisses zumindest offenhielte.

Und drittens muss ein guter Spitzenkandidat der historischen Erfahrung zufolge eine Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Wählerwünsche und fähig sein, wie es etwa bei Bruno Kreisky hieß, verschiedene »Sprachen« zu sprechen - mit der aufmüpfigen Parteijugend idealistisch, mit den Medien liberal, mit der Bevölkerung volkstümlich, mit der Weltöffentlichkeit englisch.

Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

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