Gedenken als Randnotiz

DER FEIND STEHT RECHTS: Konservative Politiker sträuben sich immer wieder gegen das Erinnern an rechte Gräueltaten, meint Stephan Anpalagan

  • Stephan Anpalagan
  • Lesedauer: 4 Min.

Kürzlich forderten der Landtagsabgeordnete Heiko Kasseckert und die ehemalige Oberbürgermeisterin der Stadt Hanau Margret Härtel (beide CDU) die »Rückkehr zur Normalität«. Man müsse langsam darüber nachdenken, die Informationen und Gedenktafeln zum rassistischen Anschlag in Hanau vom Brüder-Grimm-Denkmal im Herzen der Stadt abzubauen und woandershin zu verlegen. An den Zentralfriedhof der Stadt beispielsweise. Kasseckert schrieb, man müsse zwar »mahnen, erinnern und wachbleiben«, doch müsse man dabei auch die »Maßstäbe wahren«. Man könnte auch etwas deutlicher sagen: »Nun ist auch langsam mal gut.«

Wer sich im Zentrum von Hanau bewegt, kommt an der Gedenkstätte kaum vorbei. In großen Lettern prangen die Worte »Die Opfer waren keine Fremden!«. Die Gesichter und Namen der neun jungen Menschen sind prominent zu sehen, umrahmt von Blumen und Kerzen. Die Opfer sind Söhne und Töchter der Stadt, sie gehören ins Herz der Hanauer Stadtgesellschaft. Keinen Deut weniger als die Gebrüder Grimm. Man könnte meinen, besser und würdevoller könne man nicht gedenken.

Stephan Anpalagan
Stephan Anpalagan ist Journalist und Musiker. Seine Texte haben den Schwerpunkt Rechtsextremismus. Anpalagan ist zudem Geschäftsführer der gemeinnützigen Unternehmensberatung „Demokratie in Arbeit“. Für "neues deutschland" schreibt er die monatliche Kolumne „Der Feind steht rechts“.

Als im neuseeländischen Christchurch ein rassistischer Attentäter 51 Menschen ermordete, erklärte Premierministerin Jacinda Ardern noch am selben Tag: »They are us!« - Sie sind wir, sie gehören zu uns. Im vollen Bewusstsein, dass es mehr ein frommer Wunsch als politische Realität ist in einem Land, das soeben einen rassistischen Terroranschlag erlebt hat. Aber ebenso wie später in Hanau sollte in Christchurch deutlich werden, dass kein Mörder, kein Rassist, kein Nazi imstande ist, die Solidarität, die Fürsorge und das gesellschaftliche Zusammenleben mit einer solchen Schandtat zu erschüttern. Dass es die Bevölkerung nicht zulassen wird, dass Minderheiten an den Rand und aus der Gesellschaft hinausgedrängt werden.

Doch nun, keine sechs Monate nach dem Anschlag in Hanau, mehren sich die Stimmen, die von der Allee der Aufarbeitung in die Schlussstrich-Straße abbiegen und zur »Normalität« zurückkehren möchten. Eine Normalität, in der die Brüder Grimm zur zentralen Stadtgeschichte gehören, aber ein zutiefst rassistischer Anschlag nicht mehr sein soll als eine Randnotiz.

Dieser wenig ruhmreiche Umgang mit Gedenkstätten, mit Erinnerungskultur und dem Gewicht der Aufarbeitung ist leider kein Einzelfall. In Thüringen stimmte die CDU gemeinsam mit der AfD gegen eine Gedenkstätte für die Opfer des NSU. Und auch wenn der Bau eines Denkmals gegen diesen Widerstand durchgesetzt wurde, gibt es nun die Gefahr, dass es geschändet wird. Fünf der bundesweit errichteten Mahnmale zum Gedenken an die Opfer des NSU wurden mittlerweile verwüstet. Teils wurden Gedenkbäume abgesägt, Hakenkreuze versprüht oder gar Gedenkstelen ausgegraben und in Flüsse gestürzt. Ausgerechnet an einer Polizeischule schmierte jemand ein Hakenkreuz und den Satz »Es lebe die NSU« an ein Ausstellungsexponat.

Doch nicht nur der gesellschaftliche Umgang mit Gedenkstätten und Denkmälern, auch die staatliche Auseinandersetzung mit ihnen macht zuweilen fassungslos. So sollte das Porajmos-Denkmal, mit dem an die ermordeten Sinti und Roma erinnert wird, abgebaut und verlegt werden, damit die Deutsche Bahn einen Tunnel für ihre S-Bahnstrecke bauen kann. Ein Vorgang von derartiger Unverfrorenheit, dass der 89-jährige Bildhauer Dani Karavan sein Werk notfalls gar »mit seinem Körper schützen« will.

Am Holocaust-Mahnmal war die CDU die einzige Partei, die nicht davon absehen wollte, im Zuge einer Abgeordnetenwahl ihre Wahlplakate dort aufzuhängen. Wenige Jahre zuvor hatte ausgerechnet die NPD in der Nähe des jüdischen Museums ein Wahlplakat mit dem Titel »Gas geben« aufgehängt. Gedenken als Hochseilakt. Nur dass das Seil dabei in Flammen steht.

Als 1979 die TV-Serie »Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss« im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden sollte, gab es einen derartigen Tumult in der deutschen Gesellschaft, dass Neonazis Bombenanschläge auf Sendemasten verübten, um die Ausstrahlung zu verhindern.

Als im Jahr 1999 eine Ausstellung zum Thema »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« die deutschen Kriegsverbrechen thematisieren sollte, ließ die CDU Saarbrücken eine Anzeige schalten, in der es hieß: »Wir lassen unsere Väter von diesen Ausstellungsmachern und ihren Hilfstruppen nicht unwidersprochen als Verbrecher und Mörder diffamieren.« Wenig später explodierte auch hier eine Bombe.

Die offensichtliche Auseinandersetzung mit dem strukturellen Rassismus und Rechtsextremismus und ihren Opfern ist hierzulande nichts, was einen angemessenen Platz bekäme - trotz der steten Selbstproklamation als »Aufarbeitungsweltmeister«. Und ausgerechnet diejenigen, die heute »Cancel Culture«, »Zensur« und »Meinungsdiktatur« beklagen, sind zuvorderst diejenigen, die das Gedenken, die Erinnerung und die Aufarbeitung wahlweise aussetzen, auflösen, auslöschen oder wenigstens auf die hinteren Plätze verweisen möchten. Es sind diejenigen, die einen Gedenkort vom Zentrum der Stadt an eine verlorene Ecke des Friedhofs verlegen wollen.

Gedenken findet nur selten Platz. Gedenken ist in Deutschland selten mehr als nur eine Randnotiz

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