Delivery Hero wird zweites Berliner DAX-Unternehmen

Wegen Coronakrise und Absturz von Wirecard rückt die Essenslieferplattform in den Club der 30 größten Aktiengesellschaften auf

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Foodora-Essensauslieferer mit ihren Fahrrädern und markanten lila Thermoboxen sind längst aus Deutschlands Straßen verschwunden. Der Mutterkonzern Delivery Hero verkaufte die Marke zusammen mit seinen beiden anderen Plattformen Lieferheld und Pizza.de im Dezember 2018 an den niederländischen Konkurrenten Takeaway und zog sich aus dem Deutschlandgeschäft zurück. Dennoch beschäftigt Delivery Hero in Berlin weiterhin 1300 Menschen. Die Zentrale in der Oranienburger Straße in Mitte wird ab Montag das zweite Berliner DAX-Unternehmen nach der Deutschen Wohnen beheimaten.

Wie die Deutsche Börse am späten Mittwochabend bekanntgab, rückt die unter verschiedenen Marken weltweit agierende Essenslieferplattform in den Club der 30 größten deutschen Aktiengesellschaften auf. Möglich machte dies ein Umsatzwachstum infolge der Coronakrise und der Absturz von Wirecard. Der insolvente Finanzdienstleister muss den DAX verlassen, nachdem vor einigen Wochen publik wurde, dass er massiv seine Bilanzen fälschte. Letztlich fehlten 1,9 Milliarden Euro in den Büchern, die das Unternehmen via Scheingeschäfte vorgegebenen hatte zu besitzen. Wirecard-Chef Markus Braun saß deswegen zeitweilig in Untersuchungshaft, seine ehemals rechte Hand Jan Marsalek wird per internationalem Haftbefehl gesucht.

Delivery-Hero-Gründer und -Chef Niklas Östberg ist hingegen ein Posterboy der deutschen Start-up-Szene. Stets smart und eigentlich nie im Anzug schaffte er etwas, von dem etliche BWL-Studenten und junge Gründer träumen: Innerhalb weniger Jahre schuf er mit Delivery Hero einen Global Player mit einem Umsatz von 1,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr und 25 000 Angestellten auf der ganzen Welt. Östberg gründete das Unternehmen 2011 und brachte es erst 2017 an die Börse.

Zwar betreibt Delivery Hero auch eigene Küchen und Lieferdienste, doch das eigentliche Geschäftsmodell sind Internetseiten und Apps, auf denen Restaurants inserieren und Kunden bestellen können. Dafür verlangt das Unternehmen Provision. In Zeiten von Corona boomt dieses Geschäft mit Essensbestellungen. Für dieses Jahr prognostiziert Delivery Hero eine Verdoppelung des Umsatzes auf 2,6 bis 2,8 Milliarden Euro. Vor allem in Asien und im Nahen und Mittleren Osten sieht man Wachstumspotenzial.

Hierzulande geriet Delivery Hero hingegen wegen der Marke Foodora in die Schlagzeilen. Für linke Kritiker zeigten die Arbeitsbedingungen ihrer Auslieferer und jener der Konkurrenz Deliveroo die dunklen Seiten des Kapitalismus auf. Die Angestellten mussten sich vor einigen Jahren vor Gericht erstreiten, dass sie Vertreter in den Aufsichtsrat schicken konnten, was mitbestimmungsrechtlich für große Aktiengesellschaften vorgeschrieben ist.

Auch in Kanada kam es laut Medienberichten zu Streitereien zwischen dem Unternehmen und Angestellten vor Gericht. Essensauslieferer wollten eine Gewerkschaft gründen. Die Unternehmensführung versuchte dies zu unterbinden, behauptete etwa, die Beschäftigten würden nicht über die nötigen rechtlichen Voraussetzungen dafür verfügen. Die Fahrer zogen vor Gericht, gewannen in allen Instanzen. Kurz darauf beschloss Delivery Hero, sich mit sofortiger Wirkung aus Kanada zurückzuziehen.

»Die Aufnahme in den DAX ist die Bestätigung, dass der Kapitalmarkt an unsere Plattform glaubt«, freut sich Östberg nun. Die Frage ist nur, wie lange das Vertrauen hält. Bisher hat Delivery Hero noch nie mit seinem Kerngeschäft Gewinn gemacht. »Mit Delivery Hero rückt ein weiteres windiges und spekulatives Unternehmen für ein anderes, Wirecard, in den DAX auf«, so Linken-Chef Bernd Riexinger auf Twitter. »Riesige Verluste, schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen beim Auslieferdienst. Kein gutes Zeichen!«

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