»Es geht nur ums Überleben«

Der blinde Judoka Shugaa Nashwan hat im kriegsgeplagten Jemen ein Mini-Olympia veranstaltet

  • Marco Krummel
  • Lesedauer: 3 Min.

Einmarsch der Nationen, Ankunft der Fackel, Entzünden des Feuers: Im Ansatz sah es so aus, als würden die verschobenen Paralympics doch dieses Jahr stattfinden. Der deutsche Para-Judoka Shugaa Nashwan hat in seinem Geburtsland Jemen ein Mini-Olympia veranstaltet. Um seine Friedensbotschaft zu verbreiten, begab sich der blinde Leichtgewichtler für vier Wochen auch in Lebensgefahr - im vom Bürgerkrieg geprägten Jemen ist das Risiko allgegenwärtig.

»Das ist kein menschliches Dasein. Es geht nur ums Überleben«, berichtete der 22-Jährige von seinen Erfahrungen vor Ort: »Wir sind am letzten Tag in einen Konflikt geraten, der mit einer Schießerei endete. Und ich hatte währenddessen die kleinen Kinder meiner großen Schwester auf dem Arm. Das ist super krass.« Dennoch hat er seine Reise, von der er am Sonnabend zurückgekehrt ist, nie bereut. Schließlich beinhaltete sein Projekt »Sei mutig« eine tiefergehende Mission.

»Ich wollte bei den Menschen wieder Hoffnung wecken«, erklärte Nashwan, der mit fünf Jahren aus dem Jemen nach Deutschland geflüchtet war: »Sport ist etwas, dass die Verbundenheit zwischen den Menschen symbolisiert. Deshalb habe ich ihn als Vermittlungsmöglichkeit gewählt.« Doch die Umsetzung war alles andere als leicht, zwischen den Fronten von Regierung und Huthi-Rebellen musste Nashwans Vorhaben möglichst unerkannt bleiben. »Wir wollten Öffentlichkeit, mussten uns aber hüten, gesehen zu werden. Man konnte nie offen reden«, sagte der EM-Dritte von 2017 und 2019, dessen als Kameramann mitgereister Bruder Mohamed gleich zweimal ins Gefängnis musste. Der einheimische olympische Judoka Ali Khousrof half mit, vor Ort eine Mischung aus »Wagnis und Vorsicht« zu finden.

Ungefähr 20 einheimische Kinder liefen bei den »kleinen Olympischen Spielen« mit heimlich produzierten Landesfahnen ein, eine geheimnisvolle Fackelträgerin entzündete in einem improvisierten Zelt das »Olympische Feuer«. Khousrof und Nashwan gaben den Kindern Judo-Unterricht und lieferten sich anschließend einen Schaukampf. »Die Freude macht nicht dieses kleine Olympia, sondern die Tatsache, dass es kleine Menschen glücklich gemacht hat und ihnen Hoffnung gibt«, sagte Nashwan, der darin auch für sich einen Mehrwert erfuhr: »Ich habe ein extremes inneres Wachstum erfahren.« Das ihm nun auch sportlich auf dem Weg zu den Paralympics helfen soll. »Ich war in den letzten Wochen mental so fokussiert und habe mich so hinter eine Sache stellen können wie nie zuvor. Das wirkt sich auch auf den Sport aus«, gibt sich der Psychologiestudent ein Jahr vor dem neuen Paralympics-Termin optimistisch.

Eine Medaille hat für ihn in Tokio aber nicht die höchste Priorität. »Ich werde dort natürlich für meine Ideale eintreten und mich nicht hinter den Kommerz oder den nationalistischen Gedanken stellen«, kündigte der in Marburg lebende Judoka an: »Ich werde den olympischen Geist mittragen, weil der durch den Frieden geprägt ist. Zu den Spielen war früher überall Waffenruhe. Ich würde mir wünschen, dass das bis zu den kommenden Spielen auch im Jemen der Fall ist.«

Seine Mission in seinem Geburtsland soll nicht seine letzte gewesen sein. »Es war nicht nur die anstrengendste, sondern auch die wertvollste Zeit meines Lebens«, zog Nashwan ein rundum positives Reisefazit: »Ich bin bereit, die gewonnene Stärke für etwas weiteres Positives einzusetzen.« SID/nd

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