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Süß und »street« zugleich

Zwischen Hafenbecken und Wellblechhallen: Das Bremer Label »Erotik Toy Records« bringt nicht nur Sanftheit in den Deutschrap

  • Tasnim Rödder
  • Lesedauer: 7 Min.

Wenn es aktuell etwas Brisantes aus der Rapszene zu berichten gibt, das nicht mit Antisemitismus oder Straftaten zu tun hat, dann kommt es vom Bremer Label Erotik Toy Records. Die Crew ist wie eine Süßigkeiten-Wundertüte vom Späti: bunt, süß, sauer und ein bisschen ungesund.

Erotik Toy Records (ETR): Das sind sechs Künstler zwischen 20 und 30 Jahren - Tightill, doubtboy, Skinnyblackboy, Young Meyerlack, Jay Pop und der Producer Florida Juicy. Was sie verbindet? »Wir sind in erster Linie alle Bremer Homies«, sagt Luka, 24, aka Florida Juicy und beißt ins Käsebrot. Wir - Tightill, Florida Juicy und ich - sitzen an einem knallheißen Sommersonntag mit Kaffee und Schweißtropfen auf dem Sielwall, der Partymeile Bremens. Es riecht dezent nach Pisse, in unregelmäßigen Abständen wollen uns Obdachlose Zeitungen verkaufen.

Lukas blondes Haar klebt ihm in Strähnen am Kopf, er trägt ein weißes Shirt mit Young-Meyerlack-Logo, an seinen Füßen Nike Xccelerator 2007 in Grau-Bordeaux. »Und wir wollen alle so lange wie möglich Musik machen«, ergänzt Till, 31, aka Tightill. Till glänzt besonders: Er trägt eine Sergio-Tacchini-Sonnenbrille mit »T«-Emblem, goldenen Steckern mit »T«-Anhänger im linken Ohrloch, grauem Hawaiihemd mit blauem Blumenmuster und Werder-Auswärtshose der 97/98er-Saison.

Mit dem Claim »The most sensitive Rap Crew« (die sensibelste Rap-Crew) mischt das Bremer Label seit 2017 die deutsche Rapszene auf. Die erste Erotik-Toy-Records-Tour 2019 war fast ausverkauft, am 25. September 2020 folgt das erste gemeinsam produzierte Album. Zwischendurch veröffentlichen alle Rapper auch noch eigene EPs, Mixtapes und Alben. Am bekanntesten ist Malik aka Skinnyblackboy, der 2019 eine EP mit dem Produzenten Kitschkrieg veröffentlichte und aktuell mit dem Song »Sonora« feat. Kitschkrieg und Max Herre in die Charts klettert.

Zurück auf die Bremer Straße. »I need a freak - with long hair, I need a freak - in underwear«, rappt Till. Er und Luka nutzen jede Situation, um sie in Memes auszudrücken oder Musik-Referenzen zu performen. Das Spaß-Level liegt bei 180 Prozent. Normalsterbliche kommen kaum mit. Till bestellt English Breakfast und freut sich wie ein kleiner Junge auf eine Portion Eis. Luka nimmt das kleine Frühstück, er ernährt sich seit einem Jahr vegetarisch.

Kennengelernt haben sich Till und Luka auf der Breminale, das Kultfest der 500 000 Einwohner zählenden Stadt. »Das war 2017 bei den Drei-Meter-Brettern, der Hip-Hop-Bühne auf der Breminale. Da habe ich damals aufgelegt«, sagt Luka. »Das war mega chaotisch«, sagt Till. Aber es hat gefunkt zwischen den Jungs. »So funktionieren wir eben: nach dem Chaos-Prinzip.«

Und auch wenn sie es nicht so recht wollen, bringen Till und Luka, seitdem sie bei Sony gesigned sind und professioneller arbeiten, ein wenig Ordnung ins Chaos. Sie haben quasi die Elternrollen in der Crew übernommen. Skinnyblackboy ist derweil Vollzeit kreativ und laut Till und Luka nicht die Person für Organisation, Jay Pop plant nebenbei die Breminale und doubtboy arbeitet hauptberuflich als Schauspieler am Züricher Theater.

Für Luka und Till hingegen ist das Musik-Business ein Fulltimejob. Luka kümmert sich um den Instagram-Auftritt, zusammen mit Jay Pop und Ali Whales um die Beats und die Produktion. Till übernimmt Regie und Schnitt der Videos. Außerdem liebt er Instagram. Er postet gern und viel: Fotos von sich - in Markenshorts und weißem Rippchenunterhemd oder wie er mit seiner Mama im Watt wandern geht. Dazu schreibt er: »Und was macht ihr so?« und die Leute kommentieren. Das gibt Klicks. Das sei alles auch ein wenig »joky« gemeint, sagt Till. Und dennoch: »Ich liebe Ego-Poliererei!«

Außerdem hat Till seine Graffiti-Crew - Jan Soeken und Daniel von Bothmer - als Designer mit ins Boot geholt. »Daniel habe ich mit 16 kennengelernt, als wir wegen Randale am Sielwall verhaftet wurden«, sagt er und lacht.

Till hat in Hausprojekten in Berlin und Barcelona gelebt, skatete und malte. Das prägt ihn und seine Texte. »Ich scheiße drauf, was in ist. Mich inspiriert, was ich gut finde.« Aktuell hört er viel Punk, zum Beispiel die Bands Misfits oder Blitz.

Luka hingegen steht auf Pop, weiß immer, wer in den Charts auf Platz eins ist. »Leider höre ich Musik mittlerweile ganz anders. Ich achte sehr darauf, wie sie produziert ist und wenn ich es geil finde, möchte ich es direkt genauso machen«, sagt er.

So schwierig es für die Crew ist, sich bei all den Musikstilen zu einigen, so genial ist die Mische, die das neue Album »Hafenwind« bereithält: 80er-Hip-Hop-Referenz meets Neue Deutsche Welle meets Pop meets Seemannslieder. Wundertüte eben.

»Es ist gerade eine schwierige Phase für uns, weil wir viel Aufmerksamkeit bekommen und gucken müssen, dass wir unsere individuellen Stile zusammenbekommen. Wir sind halt nicht wie andere Crews, die alle eine Linie fahren«, sagt Luka. Das sei schön. Aber eben auch schwierig. »Für Fans und für uns.«

Seit über einem Jahr arbeitet die Crew schon an dem neuen Album. Sie hatten ein festes Konzept ausgearbeitet. Doch dann kam alles anders: Corona, persönliche Schicksalsschläge - und das Konzept war dahin. Alles verzögerte sich. »Es war ein hartes Jahr«, sagt Till. Doch jetzt sind sie zufrieden mit dem Ergebnis.

Weniger zufrieden sind sie mit dem Sweetness-Stempel, den die Medien der Crew aufdrücken, weil sie nicht über Bitches und Geld rappen und sich »sensitive« nennen. »Es gibt so viele andere Dinge, für die wir stehen. Ich finde es schade, dass es etwas Besonderes ist, dass wir in unseren Songs Emotionen zeigen. Ich will nicht der Vorzeige-Mann dafür sein«, sagt Till. Auch Luka betont, dass der sensitive Rap sie zwar auszeichne, aber eben nicht ihre Musik definiere. »Das heißt nicht, dass wir nicht street sind. Wir haben auch harte Inhalte, über die wir rappen«, sagt Luka. Und als was wollen sie wahrgenommen werden? »Wir sind nicht nur süß, wir sind auch Alkis und Asis«, sagt Till.

Das Frühstück kommt. Luka beschwert sich über die Schinkenwurst auf seinem Teller. Till: »Das musst du jetzt essen, sonst kommt das weg!« Luka: »Nee, das bringe ich nicht über mich.« Botschafter der Emotionen - so könnte man die Jungs im Vergleich zu anderen Deutsch-Rapper*innen dennoch nennen. Denn ob sie wollen oder nicht: Softness ist in der deutschen Rap-Szene immer noch eine Rarität. »Natürlich ist es schön, wenn wir andere Künstler motivieren, mehr Emotionen in die Rap-Welt zu bringen«, sagt Till. Aber generell wünsche er sich viel mehr »Freaks, die sich was trauen, die Kunst machen und auch mal Verlierer sind, nicht nur harte Winner.«

Luka möchte sich erst gar nicht zur deutschen Rapszene äußern. »Ich bin echt kein Fan! Viele Tracks haben zu simple, stumpfe Messages, das ist langweilig«, sagt er. Es gehe quasi nur ums Saufen und Ficken.

Ein Typ Mitte 50, graues Haar und Kastenbrille, läuft im Blitz-Shirt vorbei. Till seufzt fröhlich auf. Ein richtiger Punker. Der ist seiner Subkultur treu geblieben - nicht wie der Kiez hier, der geprägt ist von Gentrifizierung und überteuerten Bars - von roten und grünen Neonlichtern beleuchtet. Dass sich die Rapper dennoch stark mit ihrer Heimat identifizieren, hört man auf dem neuen Album. Der Hafensound ist der rote Faden, der sich durch das Potpourri der Musikstile zieht.

»Sensitive« sein, das heißt nicht immer politisch korrekt sein. Immer wieder werden ETR auf Instagram oder Facebook kritisch kommentiert - weil »Olle« in ihren Texten vorkommt. Ihnen ist bewusst, dass sie Fehler machen, doch andererseits »trittst du immer jemandem auf den Schlips, wenn du Kunst machst«, sagt Till.

Bei ETR gibt es keinen politischen Konsens, keine einheitliche Policy. Doch in grundsätzlichen Fragen sind sie sich einig - wenn es zum Beispiel um Gleichberechtigung geht. »Da gibt es auch ein passendes Meme«, sagt Till und zeigt eines, auf dem steht: »Wenn du nicht für Gleichberechtigung bist, dann bist du halt ein Arschloch.« »Wir machen uns da schon Gedanken«, sagt Luka. Doch gerade, weil sich die Crew Gedanken mache, nicht sexistisch texte, würden sie genauer unter die Lupe genommen. »Die Leute beschweren sich und hören Luciano. Das finde ich total kontrovers«, sagt Luka.

So langsam ist auch der zweite Kaffee ausgetrunken. Ein letzter Wunsch? »Charts. Kohle. Fame«, sagt Luka und meint es nur so halb ironisch. Till wünscht sich, sein Leben lang Musik machen zu können: »Wir wollen Geld verdienen und uns dabei treu bleiben.«

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