Irrationale Ängste sind der Antrieb

Bisher hat die AfD nicht von der Coronakrise profitiert. Doch das muss nicht so bleiben, warnt Robert D. Meyer.

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Verfassungsschutz im Nacken, eine seit Monaten andauernde Schlammschlacht um Andreas Kalbitz und eine heillos zerstrittene Führung: Angesichts einer Vielzahl hausgemachter Probleme ist es eine kleine Überraschung, dass die AfD im Durchschnitt der letzten acht Sonntagsfragen zur Bundestagswahl bei zehn Prozent liegt. Dies beweist, dass die Rechtsaußenpartei über eine Kernwählerschaft verfügt, die Skandale nicht als solche wahrnimmt, diese schlicht ignoriert oder als Angriff des politischen Gegners deutet. Diese Basis, so hart es klingt, ist für die Angebote demokratischer Parteien dauerhaft nicht mehr empfänglich, weil rationale Argumente auf eine Mauer prallen, die auf einem Weltbild fußt, das persönliches Empfinden über Fakten stellt. Der Widerspruch wird dann durch den Einzelnen aufgelöst, indem noch das sachlichste Gegenargument zu »Fake News« erklärt wird.

Die AfD erlebte bei Wahlen und in Umfragen bisher dann ein Hoch, wenn zwei Dinge aufeinandertreffen: Eine tatsächliche gesamtgesellschaftliche Herausforderung, deren Lösung aber so komplex ist, dass sie für den Einzelnen schwer greifbar ist. Die Rechte dockt hier an, indem sie das reale Problem als Ausgangspunkt für irrational überspitzte Schreckensszenarien nutzt und darauf vereinfachte Antworten liefert.

Als Musterbeispiel kann der gesellschaftliche Umgang mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage dienen. Niemand leugnet, dass der verstärkte Zuzug Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 eine Herausforderung war. Die AfD entwarf damals aber ein Szenario, das die Ängste des Einzelnen adressierte: Angst vor wirtschaftlichem Abstieg, die Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden und ganz allgemein die Angst, dass sich das eigene Leben durch die Geflüchteten ändert. Nichts davon war real, nichts davon traf zu und doch gelang es der AfD, die unabhängig von jeder politischen Großwetterlage in der Gesellschaft vorhandenen Ressentiments zeitweise zu kanalisieren, um bundesweit an der 20-Prozent-Marke zu kratzen. Dass dies passiert ist, heißt, dass es wieder passieren kann.

Die Coronakrise ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die aufgrund ihrer realen Komplexität viel Raum für irrationale Antworten lässt. Bisher gelang es der AfD nicht, davon zu profitieren, auch weil sich die Partei noch weit bis in den Sommer hinein uneins darüber war, wie sie mit der Krise umgeht. Inzwischen hat sich die extreme Rechte weitestgehend auf eine Erzählung verständigt: Corona sei vorbei, sämtliche von Bund und Ländern ergriffenen Maßnahmen seien nur noch dazu da, die Freiheit des Einzelnen zu beschneiden. Die AfD war die einzige im Bundestag vertretene Partei, die zu den Protesten gegen die Corona-Politik in Berlin aufrief und die juristische Auseinandersetzung um ein Verbot zu einer Demokratiekrise hochjazzte, obwohl die richterlichen Entscheidungen belegten, dass die Gewaltenteilung bestens funktioniert.

Erst das Fressen, dann die Moral
Michael Lühmann über die Frage, warum die AfD in der Wählergunst nicht von der Corona-Pandemie profitiert

In den Reihen der besonders in Süddeutschland beheimateten, ökologisch bewegten, aber gleichzeitig durch ihre Esoterik für Irrationales empfänglichen Corona-Verharmloser-Bewegung sammelte die AfD indes Pluspunkte. Und wenn »Querdenker«-Organisator Michael Ballweg erzählt, er hätte gerne in dem inzwischen verbotenen Protestcamp vor dem Reichstag eine »verfassungsgebende Versammlung« einberufen, dann zeigen sich für die AfD hier vielfache Anknüpfungspunkte. Sei es durch ihre eigene Erzählung einer »unvollendeten Wende« nach 1990 oder die noch plumpere Parole von der »Merkel-Diktatur«. Die Coronaverharmloser sehen sich selbst als bürgerliche »Mitte« an, verorten sich also dort, wo auch die AfD gerne wahrgenommen werden will.

Das Problem: Weil Konservative diese Gefahr übersehen oder kleinreden, bietet sich der AfD hier die Möglichkeit, über die Minderheit der Coronaverharmloser hinaus schrittweise an Legitimation zu gewinnen. Je länger die Coronakrise dauert, je schriller die Debatten über die richtigen Maßnahmen geführt werden, umso mehr könnte die AfD profitieren. Es spielt keine Rolle, wie sich das Leben des Einzelnen real ändert. Schon die Drohkulisse reicht. Wenn die Coronakrise ökonomisch global zuschlägt, wird die AfD die dann zu bewältigenden Herausforderungen zum Kampf um das Wohl des »deutschen Volkes« verklären. So wie sie es in der Migrationsfrage getan hat.

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