»Wir sind keine Superspreader«

Emma Pankhurst arbeitet als Escort. Im »nd«-Interview spricht sie über das Corona-Arbeitsverbot, Polizeischikanen und die ungewisse Zukunft ihrer Branche

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 6 Min.

Ihr macht gerade eine Aktionswoche zu Sexarbeit. Warum?

Seit Beginn der Corona-Pandemie werden Sexarbeitende in einem bisher unbekannten Ausmaß kriminalisiert und marginalisiert: Mit den Einschränkungen durften wir nicht mehr arbeiten. Zunächst wurde uns gesagt, dass unsere Branche am 28. März wieder öffnen dürfe, dann im Mai, dann im Juli. Es war für uns sehr frustrierend, dass dieses Datum immer wieder nach hinten verschoben wurde. Und während beispielsweise Tattoo-Studios wieder öffnen durften, ist uns das Arbeiten bis heute untersagt – obwohl wir Hygiene-Konzepte vorgelegt haben und die meisten von uns von staatlichen Hilfsprogrammen ausgeschlossen sind. Wir dachten dann, wir müssen etwas dagegen tun und so entstand die Idee für unsere Gruppe, die Sexworker Actiongroup (SWAG), und die Aktionswoche.

Emma Pankhurst

Emma Pankhurst ist Sexarbeiterin und Aktivistin. Als Escort arbeitete die US-Amerikanerin mehrere Jahre in Boston, wo sie Teil des Sex Work Outreach Projects, sowie von Survivors Against SESTA war. Im Januar zog sie nach Berlin, um legal arbeiten zu können. Sie ist Mitglied der Sex Worker Activist Group (SWAG). Mit ihr sprach Vanessa Fischer.

Und warum findet die Aktionswoche ausgerechnet jetzt statt? Corona gibt es ja schon seit einer Weile...

Weil der Berliner Senat am nächsten Montag wieder seine Arbeit aufnehmen wird. Davor wollten wir noch für Sichtbarkeit sorgen. Historisch ist es ja so, dass Sexarbeitende nicht gerade die Öffentlichkeit gesucht haben. Weil wir oft illegalisiert waren und bis heute stigmatisiert werden. Viele Sexarbeiter*innen wollen nicht als solche erkannt werden. Das erschwert natürlich öffentlichen Protest. Aber wir waren so wütend, dass wir das ändern wollten. Unsere Idee war dann, nicht nur Sexarbeiter*innen-Organisationen einzuladen, sondern auch andere Gruppen, um gemeinsam zu protestieren. Jetzt sind wir ein breites Bündnis aus Feminist*innen, Antifa, Migrant*innen, Trans* und LGBTQ-Gruppen. Geplant sind über zwanzig Events und eine Demonstration am Samstag.

Und wie genau hat sich die Situation für Sie und für die anderen Sexarbeitenden durch Corona verändert?

Ich arbeite seit sieben Jahren als Escort, die meiste Zeit davon in Boston. Im Januar bin ich nach Berlin gezogen, um hier endlich legal arbeiten zu können und der konstanten Angst vor der Polizei und einer möglichen Verhaftung zu entgehen. Für mich war der Shutdown echt eine Katastrophe, auch wenn meine Situation natürlich trotzdem besser war, als die vieler anderer.

Wie meinen Sie das?

Die meisten Sexarbeitenden, die in Berlin-Schöneberg auf der Straße arbeiten, haben kein Zugang zum Internet und sprechen kein Deutsch oder Englisch. Sie haben nichts vom Shutdown, manche nicht einmal etwas von Corona mitbekommen, bis die Stellen, bei denen sie Essen bekamen und duschen konnten, vom einen auf den anderen Tag geschlossen waren. Sie wurden einfach im Regen stehengelassen. Viele haben dann weiter gearbeitet, einfach weil sie absolut keine andere Wahl hatten. In einer idealen Gesellschaft hätte man sie gefragt, was sie brauchen. Aber das ist natürlich nicht passiert.

Sondern?

Stattdessen hat die Polizei Geldbußen verhängt, wenn sie die Frauen beim Arbeiten erwischt hat. Für mich war das sehr dystopisch. Statt wie erhofft in Deutschland endlich legal arbeiten zu können, bekam ich plötzlich wieder jede Menge Telefonanrufe und Nachrichten von Polizisten, die versuchten, einen Termin bei mir zu buchen, um mich so zu »überführen«.

Wirklich? Woher wussten Sie denn, dass es tatsächlich Polizisten waren?

Ich kannte das schon aus den USA. Die Art und Weise wie sie schrieben. Außerdem haben sie exakt in dem Moment damit aufgehört, als sich die Politik dazu entschied, nur die Kunden zu bestrafen.

Ein Sexkaufverbot nach dem nordischen Modell also?

Ja, genau.

Das wird ja auch oft kritisiert. Was ist denn das Problem daran?

Dass es Sexarbeit als solche immer noch kriminalisiert, auch wenn Sexarbeiter*innen selbst nicht bestraft werden. Und Kriminalisierung bedeutet, dass die Branche im Dunkeln agieren muss, jenseits der Augen der Öffentlichkeit und der Regierung. Es ist statistisch nachgewiesen, dass Klienten in Ländern, die das nordische Modell haben, aus Angst vor Bestrafung, weitaus seltener zur Polizei gehen, wenn sie beispielsweise das Gefühl haben, dass eine Sexarbeiterin Opfer von Menschenhandel ist oder unter Drogen gesetzt wurde. Der Menschenhandel nimmt in diesen Ländern deshalb zu und nicht ab. Bei einer kompletten Kriminalisierung von Sexarbeit ist Menschenhandel sogar noch einfacher, da sich ohnehin alles im Verborgenen abspielt. In Deutschland war es dahingegen bisher leichter, Opfer von Menschenhandel ausfindig zu machen und sie zu unterstützen.

Ein Argument für ein anhaltendes Sexkaufverbot war aber auch, dass Sie »Superspreader« seien...

Sexarbeitende wurden seit jeher stigmatisiert, Krankheiten zu verbreiten. Für das 17. Jahrhundert mag das vielleicht sogar stimmen. Damals gab es ja schlichtweg keine Möglichkeiten, um sich vor Geschlechtskrankheiten – allen voran Syphilis – zu schützen. Heute ist das einfach Quatsch. Die Weltgesundheitsorganisation hat kürzlich sogar gesagt: Das Effektivste gegen HIV wäre, Sexarbeit überall auf der Welt zu dekriminalisieren.

Warum das?

Weil bei einer Kriminalisierung Frauen, die von der Polizei für Sexarbeiterinnen gehalten werden, auf der Straße durchsucht werden: Und wenn sie Kondome bei sich tragen, kann das ein Grund für eine Verhaftung sein. Während Corona ist genau das auch in Berlin passiert. In den USA ist das seit Jahrzehnten gängige Praxis. Dabei ist doch eigentlich klar, dass Sexarbeitende viel eher Kondome benutzen, wenn das kein Grund für eine Festnahme ist. Ohnehin würde ich sagen, dass die meisten Sexarbeitenden viel häufiger Kondome benutzen, als die Allgemeinbevölkerung. Wir sind keine Superspreader. Diese Behauptung ist für uns eine totale Beleidigung. Wir sind nämlich sehr auf Hygiene bedacht!

Und glauben Sie daran, dass Sie nach der Coronakrise wieder normal arbeiten können?

Ich denke, dass die Dinge nicht wieder so sein werden, wie vor der Pandemie. Corona hat es unseren Gegner*innen so viel einfacher gemacht. Wir müssen der Politik deshalb weiter Druck machen und sichtbarer werden, damit uns nicht all die Freiheiten und Rechte genommen werden, die wir hier in Deutschland einmalig genießen.

Und wie können euch Menschen, die keine Sexarbeiter*innen sind, dabei unterstützen?

In den USA habe ich meinen Kunden immer gesagt: Ruf doch mal deinen Abgeordneten im Kongress an und sage ihm, dass du für die Dekriminalisierung von Sexarbeit bist. In Deutschland geht das ja auch. Es ist eigentlich wie bei jedem anderen politischen Anliegen. Menschen können auch demonstrieren oder sich im Alltag gegen unsere Stigmatisierung einsetzten, etwa Leute darauf hinweisen, dass es uncool ist »Prostituierte« oder »Nutte« als Schimpfwort zu benutzen. Eben weil wir so stigmatisiert sind, brauchen wir die Stimmen anderer Menschen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -