Spieglein, Spieglein an der Wand

Was darf Satire und welchen Spiegel will uns Serdar Somuncu da eigentlich vorhalten?

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 5 Min.

Es sind angespannte Zeiten, in denen Florian Schroeders und Serdar Somuncus Podcast in der vergangenen Woche an den Start ging: Zwischen Corona-Leugner-Demonstrationen und allerlei Hass bei der Bild-Zeitung und im Netz, unterhielten sich die beiden in der ersten Folge ganze drei Stunden lang. Radio Eins hatte die Zusammenarbeit zuvor als »handfeste Analyse der politisch-gesellschaftlichen Großwetterlage« angekündigt, in der die zwei Satiriker »den Finger in die Wunde« legen würden. Wie handfest die Analyse am Ende war, ist streitbar, eines steht jedoch fest: Wunden wurden mit dem Podcast allemal aufgerissen. Und das nicht zu knapp.

Am Dienstag trendete der Hashtag #Somuncu stundenlang auf Twitter. Mit den Worten: »Deutsche Comedy, 2020. Bin sprachlos«, hatte Journalist und Moderator Malcolm Ohanwe einen zwei-minütigen Ausschnitt des Podcasts auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter geteilt. Zu hören sind darin zwei Minuten voller Hass. Voller Ignoranz, Rassismus und Sexismus, die Somuncu da in perfekter Troll-Manier von sich gibt, die so altbekannt und wenig originell sind, dass sie an dieser Stelle keiner Wiederholung bedürfen.

Doch im Netz sorgten Somuncus Äußerungen prompt für Entrüstung. Jutta Ditfurth meldete sich kurz nach Ohanwes Tweet: »Serdar #Somuncu (2017 Spitzenkandidat von #DiePartei) ist stolz darauf, rassistische Begriffe zu verwenden und will es weiter tun. Was für ein Arschloch«, so die frühere Grünen-Abgeordnete. Es dauerte nicht lange, bis sich immer mehr Menschen - verletzt durch Somuncus Aussagen - wütend und empört zu Wort meldeten.

Der Shitstorm wütete bereits einige Zeit, als Rechte und Konservative begannen, den Kabarettisten als »Kämpfer für die Meinungsfreiheit« zu feiern, und der Nutzer @ReverseAuthor schließlich auf Twitter schrieb, das Witzige am Podcast sei, dass er unter dem Thema stehe, dass Leute nur noch Überschriften lesen. »Dann postet jemand einen zweiminütigen Ausschnitt und Twitter dreht am Rad.«

Die Stimmen, die beteuerten, bei Somuncus diskriminierenden Aussagen handele es sich lediglich um eine Kunstfigur, eine Rolle, geschaffen, um zu provozieren und den Menschen auf einer Meta-Ebene einen Spiegel vorzuhalten, wurden daraufhin immer lauter. Am Dienstagnachmittag bezog schließlich auch Radio Eins Stellung: Der Ausschnitt sei eine satirische Überspitzung. Die Idee sei gewesen, »zu zeigen, wie in einer verkürzten Medienöffentlichkeit wenige Äußerungen ausreichen, um Menschen zu provozieren, was im Podcast zuvor auch thematisiert wurde.«

Tatsächlich sprechen Schroeder und Somuncu in der aktuellen Podcastfolge auch über die fortschreitende Polarisierung der Gesellschaft, über Schroeders Auftritt bei der Corona-Leugner-Demo am 8. August in Stuttgart, und darüber, wie und ob überhaupt ein Dialog mit »den anderen« noch möglich sei. »Die Leute schnappen sich die Begriffe, die schnappen sich die Überschrift und dann hauen sie nur noch drauf. Lassen ab, was bei ihnen vorhanden ist an Argumentation, an Wut. Und dem möchte ich mich gar nicht mehr stellen. Es besteht ein Potential an bewusstem Missverstehen-Wollen. Die Leute wollen dich missverstehen. Das macht den Dialog nahezu unmöglich«, erklärte der Kabarettist.

Dass Somuncu aber auch bewusst missverstanden werden will, ist nichts Neues: Bekannt wurde er mit einer szenischen Lesung ausgewählter Textstellen aus Hitlers Buch »Mein Kampf« unter dem Titel »Nachlass eines Massenmörders«. Später kommentierte er in seiner Youtube-Show »Hatenight« aktuelle Themen. Nach den ersten 50 Folgen sperrte das Videoportal allerdings aus inhaltlichen Gründen seinen Kanal und löschte alle Videos.

Über zehn Jahre ist das nun her. Aber auch im Podcast drängt Somuncu nach etwa einer Stunde darauf, den »Talk jetzt mal ein bisschen zu radikalisieren«. Und fügt hinzu: »Unser Job ist es, so weit zu gehen, wie wir können. Über alle Grenzen zu gehen.« Schroeders Frage, ob es in Deutschland eine »Cancel culture« gebe, fordere ihn zu Ehrlichkeit heraus, die verletzend sei, antwortet Somuncu wenig später – und legt mit besagter zweiminütiger Hasstirade los.

Und hier stellt sich nun die Frage, wie uns diese geballte Wucht an Diskriminierungsfloskeln eigentlich einen Spiegel vorhalten soll? Und was wir in diesem Spiegel dann sehen sollen? Denn selbst wenn der Satiriker, der mit dem Mantra »Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung« bekannt geworden ist, in den zwei Minuten »nur« die Rolle eines frauenfeindlichen rassistischen Arschlochs einnimmt; selbst, wenn er damit »nur« zeigen will, wie erschwert oder gar unmöglich ein konstruktiver Dialog in diesen Zeiten ist, weil Aussagen aus dem Kontext gerissen werden, ist doch eines klar: Somuncus Aussagen waren nicht vollkommen kontextlos. Die Kunstfigur Somuncu hat Frauen nicht in einem luftleeren Vakuumraum beleidigt, sondern in einer Gesellschaft, in der Macht und Privilegien ungleich verteilt sind, und in der Satire seit jeher fast immer dieselben Personengruppen für die »Meinungsfreiheit« opfert. Da ist es nicht wirklich verwunderlich oder gar »entlarvend«, wenn sich diese Gruppe getriggert fühlt und empört reagiert.

»Was soll das für eine Überspitzung und Entlarvung sein?«, fragte deshalb auch die Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl. »Natürlich reichen wenige Äußerung um zu provozieren. Rassismus provoziert von Rassismus Betroffene. Sexismus provoziert von Sexismus Betroffene. Nona. Das ist ja logisch und gut, dass Leute das scheiße finden.«

Es war wohl nicht das beste Beispiel, das Somuncu da für seine Kritik an einer verkürzten Medienöffentlichkeit gewählt hat. Denn beim Thema Rassismus und Sexismus gibt es eigentlich nichts zu diskutieren. Viele weiße Männer dürften sich dahingegen mal wieder zum Lachen animiert gefühlt haben. Und so hält Somuncu diesen am Ende wohl tatsächlich einen Spiegel vor: Darin ist zu sehen, wie sehr ihnen keine Begründung zu abstrus ist, um ihren plumpen Rassismus und Sexismus zu rechtfertigen. Welch Meta-Ebene!

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