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Metaller bleiben stabil

Neuer Berlin-Chef Jan Otto will die Gewerkschaft reformieren und wachsen lassen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Gefragt danach, was ihn ausmache in seiner neuen Position, sagt Jan Otto über sich selbst: »Ich bin ein Organizer, ein Erschließer.« Das Selbstbewusstsein kann sich der 39-Jährige mit der jungenhaften Erscheinung leisten. Vergangene Woche wurde er zum Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Berlin gewählt. »Unter dem Kreuz der Parochialkirche«, sagt Otto amüsiert. Wenige Gewerkschaftssekretäre dürften diesen Wahlgang in einer Kirche erlebt haben – aber wegen der Corona-Abstandsregelungen musste man dafür in die Kirche im Bezirk Mitte einladen. Insgesamt 35 000 Mitglieder können in der Hauptstadt über ihre Delegierten abstimmen.

Berlin, so Otto, der selbst in Köpenick geboren ist und hier gelernt hat, sei für ihn nach wie vor die alte Industriestadt. Da sind die Standorte von BMW und Daimler, dazu der Siemens-Konzern, wobei allein Letzterer einst weit über 10 000 Menschen in der Hauptstadt beschäftigte. Das sei die »alte Welt«, in der es aus Beschäftigtenperspektive um Tarifverträge, Wochenstunden, feste Arbeitszeiten geht. Und dann sei in Berlin nun auch ein Zentrum der »neuen Welt« entstanden: Start-ups, Software-Unternehmen, die digitale Plattform-Ökonomie, die mit großen und kleinen Firmen in die Stadt drängt. An die will Otto ran – auch wenn das Spektrum der insgesamt 400 Betriebe, für die die Gewerkschaft zuständig ist, eben sehr heterogen sei. »Passt für die vielen Leute, die frei arbeiten, überhaupt noch die alte Tarifwelt?«, fragt der Vater von zwei kleinen Kindern. Und will verhindern, dass gerade diese Arbeit immer weiter entgrenzt werde. Zumal nun angesichts der Coronakrise das Homeoffice gestärkt werden soll. »Wir müssen die alte und neue Welt verbinden«, sagt Otto. Im Sinne einer Reform, um die IG Metall auch in »40, 60 Jahren« so stabil zu halten, wie sie es derzeit ist.

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Apropos Coronakrise: Weil diese gezeigt habe, wie anfällig die Produktion durch die Ausgliederung einzelner Schritte geworden sei, brauche es neue Ideen von Wertschöpfungsketten, sagt der Funktionär und tadelt sich selbst für sein »Gewerkschaftersprech«. »Es darf nicht sein, dass die Lieferkette zusammenbricht, wenn nur kleinste Teile fehlen, weil die woanders hergestellt werden«, versucht er es plastischer. Regina Katerndahl schaut ihrem neuen forschen Kompagnon gelassen dabei zu. Zusammen mit ihr, die schon seit 2014 durchgängig Zweite Bevollmächtigte des Hauptstadtbezirks ist, führt Otto nun die hiesigen »Metaller«-Geschäfte.

»Wir sind ein gutes Team, da bin ich mir sicher«, sagt Katerndahl, die den Wechsel von Ottos Vorgängerin Birgit Dietze an die Spitze der Bezirksleitung für Berlin, Brandenburg und Sachsen zugleich mit einem »lachenden und weinenden Auge« sieht.

Aus Sachsen, genauer Ostsachsen, ist der gebürtige Berliner nun in das Gewerkschaftshaus an der Alten Jakobstraße zurückgekommen. Nach Stationen in Hamburg und Leipzig war der gelernte Lokführer vor fünf Jahren nach Bautzen berufen worden – nicht unbedingt auf seinen Wunsch hin: »Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich schon zehn Jahre früher wieder in Berlin gelandet«, sagt Otto. Hier hatte er zuvor bereits einen Betriebsrat gegründet und bei der ehemaligen Verkehrssparte des Veolia-Konzerns einen Tarifvertrag erstritten. Aber in Sachsen hat er genau die Erfahrungen als Erster Bevollmächtigter des Bezirks gesammelt, für die man ihn jetzt nach Berlin zurückbeordert hat. Denn Otto hat mit seiner forschen Art dort so einiges in Bewegung gebracht. Dafür spricht nicht nur die Verdopplung der Mitgliederzahlen in dem Bezirk weitab der Metropolen Leipzig und Dresden. Auch ein Flächentarifvertrag für 4000 Beschäftigte wurde hier unter seiner Ägide verhandelt.

Angesprochen auf die politischen Erfolge der AfD im südöstlichen Bundesland, will Otto vor allem eines: »Die tollen Leute in Sachsen sollen nicht schlecht dastehen.« Auch in den Betrieben, bei Siemens und Bombardier, seien sie anders drauf. »Wir stehen gegen Nazis.« Aber Boden müsse man wettmachen, mehr und lauter werden.

Einmal hat Otto gesagt: »Einen wie Björn Höcke würde ich von unserer Kundgebung verjagen.« Eine Kampfansage, zu der der Gewerkschaftsfunktionär steht. In Berlin will er nun zusätzlich neue Ansprachen finden für Beschäftigte, die er noch gar nicht kennt. Sie werden ihn gewiss kennenlernen, dafür wird Jan Otto mit seinem Tatendrang schon selbst sorgen.

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