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Hexendinge
»Jean Seberg - Against all Enemies« erzählt die Dunkelgeschichte des freiheitlich-demokratischen Westens
Das Lebensbild setzt elf Jahre früher an - als epische Vorausdeutung (Foreshadowing). Die Schauspielerin Jean Seberg (Kristen Stewart) verletzt sich bei ihrer ersten Rolle, den Dreharbeiten zu Otto Premingers Shaw-Adaption »Die heilige Johanna« (1957), am Feuer des Scheiterhaufens. Wäre das nicht tatsächlich passiert, man hielte es der Symbolik wegen, mit der das später im Film Erzählte hier gepackt ist, für allzu plakativ. Jean spielt Jeanne, die als Ketzerin und Hexe verbrannt wurde; die inszenierten Flammen der Jeanne greifen über auf Jean, die somit elf Jahre vor der Hexenjagd, die sie selbst erleben wird, am Leibe zu spüren bekommt, wie eine Hexenverbrennung sich anfühlt. Die Wirklichkeit benimmt sich schon manchmal sehr wie ein Vorschlaghammer. »Jean Seberg«, dieser dagegen dezent erzählte und gediegen inszenierte Film, hat es in politisch-gesellschaftlicher Sache wirklich in sich.
1968 ist Seeberg zu einer resilienten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gereift. So scheint es zunächst. Auf einem Flug in die USA lernt sie den Black-Power-Aktivisten Jamal (Anthony Mackie) kennen. Mit ihm beginnt sie eine Affäre, aus der bald ein Spektakel öffentlicher Empörung wird. Keine vier Jahre nach Aufhebung der Rassentrennung war die amerikanische Gesellschaft noch längst eine Gesellschaft der Weißen; wo der juristische Rassismus beseitigt war, blieb der strukturelle. Und dem haftet fast unvermeidlich ein sexueller Chauvinismus an: eine Wut über den Diebstahl der weißen Frau durch den schwarzen Mann. Der hat sich genommen, was von weißen Männern als ihr Eigentum angesehen wird.
Die Kampagne gegen Seberg entstand allerdings nicht spontan, sie wurde auf Anordnung J. Edgar Hoovers hin von operativen Kräften des FBI eingeleitet. Dabei passt Seberg gar nicht in das Profil der politischen Aktivistin, von der irgendwas, erst recht nicht was Bedrohliches, ausgeht. Ganz offensichtlich sind Neugier und der Wunsch, dem eigenen Leben etwas mehr Bedeutung zu verleihen, ihr Antrieb, was Kirstin Stewart in einer reifen, feinsinnig-subtilen und gerade deshalb umwerfenden Performance sicht- und fühlbar werden lässt. Eben jene Unbedarftheit der Figur macht den Charakter der FBI-Behörde deutlich, die nicht aus Erwägungen der Sicherheit heraus handelt, sondern aktiv das Leben einer öffentlichen Person zerstört, weil die in ihr Tätigen abweichende Lebensentwürfe missbilligen.
Damit beschäftigt sich dieser Film zugleich mit jenem scheinbar aktuellen Problem, das seit ein paar Jahren unter den Schlagworten »Fake News« oder »postfaktische Gesellschaft« gefasst wird. Gerade die Historizität des Films zeigt jedoch, dass das Problem kein neuartiges ist. Es existierte lange vor den sozialen Netzwerken, die da allenfalls beschleunigend wirkten. Gegeben scheint es durch die Medien selbst, genauer: durch eine Gesellschaft, in der sämtliche Verkehrsformen an mediale Vermittlung gebunden sind. »Merken Sie sich«, ließ Erich Kästner schon 1931 in seinem Roman »Fabian« einen Chefredakteur sagen, »Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr.«
In einer stets durch Medien vermittelten Öffentlichkeit scheint nicht nur kaum noch möglich, Tatsache und Unwahrheit zu unterscheiden, es wird im Grunde irrelevant, weil die Erfahrung mit jener Unsicherheit in das elementare Verhalten der Menschen eingeht. Jeder weiß, wie sehr tatsächlich Geschehenes verbogen, wie leicht Unvorgefallenes fingiert, wie dreist die Beweislast auf den Verleumdeten verschoben werden kann. Jeder weiß es, keinen interessiert es. Alles wird Erzählung. Was die Leute allein kümmert, ist, ob das Erzählte ihnen passt. Und wenn es passt, darf das Geschick eines Einzelnen (nie das eigene, versteht sich) gern geopfert werden.
Dieser Mechanismus greift indessen nur, wenn die Nachrede Pluralität gewonnen hat, das heißt, von vielen oder allen Seiten kommt. Die einzelne Lüge gewinnt keine Macht, es muss ein Umfeld geschaffen sein, dem der betreffende Mensch sich ausgesetzt sieht. Er muss das Gefühl haben, dass sich die ganze Welt über ihn einig sei. Das ist, was »Jean Seberg« unerbittlich erzählt. Die Hauptfigur wird paranoid, was nicht heißt, dass sie sich irrt. Manchmal hat jemand Verfolgungswahn und wird tatsächlich verfolgt. Oder er entwickelt vielmehr den Wahn, gerade weil er verfolgt wird. Letzteres trifft auf Seberg zu. Der Zuschauer wohnt den verborgenen Tätigkeiten des FBI von Beginn an bei. Er weiß, ihre Paranoia ist befugt. Er will ihr folgen, mit dem Kopf durch die Wand. Er sieht sie, mit leidend, kaputtgehen, als niemand, nicht einmal ihr Ehemann, ihr glaubt.
Paradoxerweise und doch folgerichtig, ist die eine Figur, die Seberg versteht, FBI-Agent Jack Solomon (Jack O'Connell). Er weiß ja, dass sie verfolgt wird, denn er steckt mit dahinter. Im Gegensatz zu seinem rassistischen Kollegen Carl Kowalski (Vince Vaughn) kriegt er es mit der Moral. Allmählich entwickelt der Überwacher, als gewissermaßen inverse Spielart des Stockholm-Syndroms, Sympathie für die Überwachte. Die Parallele zu »Das Leben der Anderen« (2006) ist überdeutlich. Auch Filmgeschichte wiederholt sich, hier aber ging die Farce mal der Tragödie voraus. Während »Das Leben der Anderen« eine als Geschichtsdrama getarnte Räuberpistole ist, das Schmierstück eines Regisseurs, der sich für den tatsächlichen Charakter seines Stoffs nicht interessiert, wird »Jean Seberg« den Maßgaben des Realismus gerecht. Was wir hier sehen, ist nicht nur passiert, es hätte - wichtiger für den Realismus - passiert sein können. Es ist beispielhaft und von Bedeutung. »Jean Seberg« erzählt die Dunkelgeschichte des freiheitlich-demokratischen Westens, in dessen Selbsterzählung Überwachung, False-Flag-Operationen und Dissidentenmord allein unter autokratischen Regimen vorkommen dürfen.
»Jean Seberg - Against all Enemies« (»Seberg«): USA, Großbritannien 2019. Regie: Benedict Andrews, Drehbuch: Joe Shrapnel, Anna Waterhouse. Mit: Kristen Stewart, Anthony Mackie, Vince Vaughn. 102 Minuten.
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