Ehrgeizig, aber machbar

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen fordert, dass 55 Prozent CO 2 -Emissionen bis zum Jahr 2030 eingespart werden sollen

  • Sandra Kirchner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Europäische Kommission macht mit ihren klimapolitischen Plänen Ernst: Die Kommission will das Klimaziel für 2030 auf 55 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 anheben. Einen Vorschlag dazu legte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Mittwoch bei ihrer ersten Rede zur Lage der Union dem EU-Parlament vor.

Die Antwort auf die Covid-19-Pandemie eröffne »eine einzigartige Gelegenheit, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu beschleunigen«, heißt es in einem Plan-Entwurf der Kommission, der nd vorliegt. Im vergangenen Jahr hätten die Emissionen schätzungsweise um ein Viertel unter denen von 1990 gelegen, während die Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 62 Prozent gewachsen sei. Das beweise, dass Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaftswachstum vereinbar sei. Eine Machbarkeitsstudie zeige, dass das 55-Prozent-Ziel »wirtschaftlich machbar und vorteilhaft für Europa« sei. Das aktuelle Ziel sieht bei den Treibhausgasen eine Minderung um 40 Prozent gegenüber 1990 vor. Allerdings lässt sich damit nicht die für den Paris-Vertrag nötige Klimaneutralität bis 2050 erreichen. Dieses Fernziel haben die EU-Länder (außer Polen) bereits im Dezember 2019 beschlossen.

Deshalb will die Kommission nun nachlegen: Mit einem starken Klimaziel für 2030 ließe sich die Klimaneutralität zur Jahrhundertmitte einfacher und kostengünstiger erreichen. Im März startete die Kommission ihre angekündigte Kosten-Nutzen-Analyse für die Erhöhung der 2030er Ziele. Es folgten öffentliche Konsultationen. Damit das ehrgeizige Ziel erreichbar wird, müssten die EU-Länder ihre Anstrengungen in allen Bereichen deutlich erhöhen.

Nach den Plänen der Kommission müsste der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2030 auf rund 65 Prozent steigen. Auch insgesamt würde der Energiemix grüner werden. Dazu müsste der Anteil der Erneuerbaren am Gesamtenergieverbrauch um sechs bis acht Prozent auf bis zu 40 Prozent klettern. Sinken müsste dabei der Kohleverbrauch im Vergleich zu 2015 um fast Dreiviertel, der Ölverbrauch um fast ein Drittel und der Gasverbrauch um ein Viertel des bisherigen Verbrauchs. Auch beim Verkehr will die Kommission ansetzen. Laut dem Entwurf müsste der Anteil der erneuerbaren Energien im Verkehrssektor bis 2030 auf rund 24 Prozent steigen - 2015 waren es erst sieben Prozent. Autos mit Verbrennungsmotoren sollen nach und nach durch emissionsärmere Fahrzeuge ersetzt werden. Dazu will die Kommission bis Sommer nächsten Jahres strengere Vorgaben für Pkw vorschlagen. Der CO2-Ausstoß von Autos müsste dann von 2021 bis 2030 halbiert werden.

Der Verband der Automobilindustrie lehnte schärfere Vorgaben bereits ab. Schon die bestehenden Ziele erforderten enorme Investitionen, sagte ein VDA-Sprecher der Agentur dpa. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sprang dem Industrieverband bei und warnte vor höheren Klimazielen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ab 2025 und lehnt einen eventuellen Emissionshandel im Bereich von Straßenverkehr und Gebäuden ab.

In ihrem Papier macht die EU-Kommission auch Vorschläge für die Landwirtschaft. Hier könnte ein verringerter Konsum von tierischen Produkten den Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um mehr als 30 Millionen Tonnen reduzieren. Zudem plant die Kommission, die energetische Sanierung von Gebäuden voranzutreiben und die Umstellung auf erneuerbare Heizungen zu fördern. Für die nötigen Investitionen will von der Leyen das Corona-Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro nutzen. Ein Drittel dieser Summe, die die EU über gemeinsame Schulden finanzieren will, sollen aus »grünen Anleihen« geschafft werden.

Das höhere Klimaziel soll gesetzlich verankert werden. Dafür ist die Zustimmung des EU-Parlaments und der Mitgliedsstaaten notwendig. Im Parlament feilschen Befürworter und Gegner um die Zielmarken. Der Umweltausschuss des Parlaments hatte sich in der vergangenen Woche für eine stärkere Anhebung auf 60 Prozent ausgesprochen. Sozialdemokrat*innen, Grüne und Linke fordern ein 65-Prozent-Ziel, liberale Abgeordnete wollen eine Vorgabe von 60 Prozent. Die größte Fraktion im Parlament, die konservative Europäische Volkspartei, scheint das 55-Prozent-Ziel unterstützen zu wollen und liegt damit auf der Linie der Kommission. Den Rechtsaußen-Fraktionen ist das Ziel zu hoch.

Die Deutsche Umwelthilfe hingegen kritisiert das EU-Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030 als Mogelpackung. Wissenschaftlich wird als notwendig erachtet, mindestens ein 65 Prozentziel anzustreben, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal