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Ein bisschen Kitzel bleibt noch

Ein Slowene wird die Tour de France gewinnen - aber welcher? Von Tom Mustroph , Champagnole

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Tour de France 2020 bleibt in slowenischer Hand, denn der Angriff aus Südamerika kam zu spät. Miguel Angel Lopez aus Kolumbien gewann zwar die Königsetappe am brutalen Schlussanstieg zum Col de la Loze. Und danach legte das Team Ineos noch einmal sein altes Dominanzverhalten an den Tag, als es am Donnerstag gleich einen doppelten Etappensieg holte - Ex-Weltmeister Michal Kwiatkowski siegte vor seinem Teamkollegen Richard Carapaz. Doch der Ecuadorianer durfte sich danach nur das gepunktete Trikot des Bergkönigs überstreifen. Er ist jetzt fest gewillt, dieses Leibchen bis Paris zu bringen. »Wir sind hergekommen, um das Gelbe Trikot zu holen. Jetzt wird es hoffentlich das Gepunktete. Das ist Sport«, meinte Carapaz halb froh gestimmt, halb melancholisch.

Diese Tour de France hatte sich wahrlich nicht nach dem Drehbuch des Rennstalls mit den sieben Tour-de-France-Triumphen in acht Jahren entwickelt. Schließlich wird am Ende kein Südamerikaner gewinnen: kein Egan Bernal, kein Carapaz und vermutlich auch kein Lopez. Die Slowenen Primoz Roglic und Tadej Pogacar waren über die gesamte Tour einfach zu stark.

»Ich weiß auch nicht, woran es lag«, meinte Carapaz. »Vielleicht spielt eine Rolle, dass die Vorbereitung während des Lockdowns in den einzelnen Ländern unterschiedlich abgelaufen ist«, mutmaßte er. In Südamerika war der Lockdown umfassender. Die Profis hatten zwar die Lizenz zum Trainieren im Freien. Aber es fällt auf, dass die Fraktion der südamerikanischen Profis nun in Frankreich fast komplett unter den Erwartungen blieb.

Auch die Triumphfahrt von Carapaz gemeinsam mit seinem polnischen Teamkollegen Kwiatkowski war nicht komplett der eigenen Stärke geschuldet. Es war zwar beeindruckend, wie die beiden Ineos-Profis etwa 40 Kilometer vor dem Ziel die Fluchtgruppe sprengten und gemeinsam dem Ziel entgegen strebten. Kwiatkowski meinte denn auch: »Diese Etappe war so außerordentlich, ich werde das nicht vergessen.«

Allerdings zermürbten die beiden Ineos-Profis nicht wie in den vergangenen Jahren das komplette Peloton. Sie mussten zuerst in einer Fluchtgruppe von den Favoriten davongelassen werden, bevor sie den verbliebenen Gefährten den Zahn zogen. Dennoch war es eine Rehabilitationsmaßnahme: Gewinnen kann Ineos also noch, wenn auch nicht die Gesamtwertung der Tour. Für Kwiatkowski, der für ein mit Sicherheit fürstliches Helfersalär auf eine eigene Siegkarriere weitgehend verzichtet hat, war der Erfolg am Donnerstag der erste in dieser Saison und der erste Etappensieg bei einer Tour überhaupt. Sein letzter Erfolg datiert vom August 2018, als er die Polenrundfahrt gewann. »Ich wusste gar nicht, was man auf der Zielgeraden eigentlich macht, ich kenne das ja gar nicht«, scherzte er noch.

Miguel Angel Lopez, der Sieger des Vortags, hatte sich seinen Erfolg immerhin ohne die Wegfahrgnade der dominierenden Truppe von Jumbo-Visma um den gesamtführenden Roglic geholt. Auf dem Col de la Loze war er der einzige Klassementfahrer, der eine Attacke gewagt hatte. Und er zeigte den Slowenen Roglic und Pogacar tatsächlich mal ihre Grenzen auf. »Es war wie bei uns zu Hause, höher als 2000 Meter, und ich habe mich wohlgefühlt«, meinte der Kolumbianer. Er fuhr auf den dritten Gesamtrang vor und will diesen nun verteidigen. »Das ist jetzt unser großes Ziel. In den kommenden Jahren können wir daran denken, die Tour zu gewinnen. Jetzt wollen wir aber diesen dritten Rang halten«, sagte sein Teamchef Alexander Winokurow.

Auch ohne dessen Bestätigung können Pogacar und Roglic davon ausgehen, dass ihnen die obersten beiden Podestplätze reserviert bleiben. Vor dem entscheidenden Zeitfahren an diesem Sonnabend geht Roglic mit knapp einer Minute Vorsprung ins Rennen. »Das sollte reichen«, meinte sein Sportdirektor Merijn Zeeman gegenüber »nd«, noch bevor er von den Tourorganisatoren wegen eines offensichtlich zu heftigen Disputs mit einem Rennkommissär ausgeschlossen wurde.

Ein bisschen Kitzel bleibt noch. Pogacar wurde schließlich im Juni bei einem der ersten Rennen nach der Lockerung slowenischer Zeitfahrmeister. Er schlug Roglic dabei um sieben Sekunden. »Das Profil des Kurses ähnelte auch dem des Zeitfahrens bei der Tour«, erklärte Bogdan Fink, Manager des slowenischen Teams Adria Mobil. Bei dem hat Roglic einst die ersten Pedalumdrehungen im Profiradsport unternommen.

Der Kurs zwischen Lure und der Planche des Belles Filles ist im Vergleich zum Meisterschaftskurs in den slowenischen Bergen nun mehr als doppelt so lang. Ob Pogacar das nutzen kann, um Roglic gleich eine Minute abzunehmen, daran zweifelt aber auch Fink. Hinzukommt, dass Roglic nach Aussage des Leistungsdiagnostikers Radoje Milic bei der Landesmeisterschaft erstmals sein neues, aerodynamisches Zeitfahrrad getestet haben soll. Auf der 15 Kilometer langen, flachen Anfahrt zum Berg könnte der Mann im Gelben Trikot mit dem neuen Gerät am Samstag also sogar noch Sekunden herausfahren. Wie er sich dort zu positionieren hat, um bei geringstmöglichem Luftwiderstand dauerhaft die größtmögliche Kraft auf die Pedale zu bringen, weiß er ja inzwischen. An seinem Gesamtsieg bestehen jedenfalls nur noch wenig Zweifel.

Weil das so ist, und weil im schlimmsten Falle immer noch ein weiterer Slowene bereitsteht, das Gelbe Trikot nach Paris zu tragen, sind im Leistungsdiagnostik-Labor der Universität von Lubljana, in dem Roglic seit 2013 vermessen wird und Pogacar sogar seit seinem 14. Lebensjahr, schon Gelbe Trikots gelagert worden. »Wir haben 200 davon besorgt. Am Montag werden alle Mitarbeiter ein gelbes Trikot tragen«, meinte Laborchef Milic per Telefon zu »nd«. Sehr unwahrscheinlich, dass diese Textilinvestition am Ende umsonst sein wird.

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