»Nicht jeden Tag ins Berghain«

Der Berliner Radprofi Maximilian Schachmann hat das Format, am Sonntag im WM-Straßenrennen ganz vorn zu landen. Von Patrick Reichardt

  • Lesedauer: 3 Min.

Für eine Pause hat Maximilian Schachmann keine Zeit. Selbst ein schwerer Sturz samt Schlüsselbeinbruch sowie 3484 harte Tour-de-France-Kilometer können den deutschen Allesfahrer nicht davon abhalten, wenige Tage später auch noch das WM-Straßenrennen im italienischen Imola anzugehen - als Kapitän. »Ich bin nach wie vor der Mann fürs Finale, denke ich«, sagt Schachmann selbstbewusst im Vorfeld der mühsamen 258-Kilometer-Tortur rund um das berühmte »Autodromo Enzo e Dino Ferrari«, wo sich Start und Ziel befinden.

Sein explosiver Antritt und die Fähigkeit, kurze Anstiege souverän zu meistern, dürften Schachmann auf dem Rundkurs mit insgesamt 5000 zu bewältigenden Höhenmetern entgegenkommen. »Am Ende liegt mir der Kurs wahrscheinlich auch am besten«, sagt der 26-Jährige. Genau einen Tag Zeit in der Heimat gönnte sich Schachmann zwischen vier Wochen Tour-Quälerei und der WM, schon am Mittwoch reiste er in die Emilia Romagna, um den hügeligen Kurs in einer Soloeinheit vor Ort einzustudieren.

Auf seine Teamkollegen Emanuel Buchmann und Lennard Kämna sowie Klassikerspezialist Nils Politt wird Schachmann an diesem Sonntag als Helfer und Co-Kapitäne verzichten müssen. Das Trio spart sich im vollgepackten Radsport-Herbst nach viereinhalb Monaten Corona-Pause eine Reise nach Imola und hat stattdessen andere Ziele ins Visier gefasst.

Der Sportliche Leiter Jens Zemke ist froh, dass er in Schachmann immerhin einen Geheimfavoriten für die knüppelharte Ausscheidung rund um Imola dabei hat. »Der Ehrgeiz zeichnet ihn wirklich aus. Es ist Wahnsinn, mit was für einer Courage er die Tour gefahren ist. Er ist auch jetzt noch top motiviert. Ich ziehe wirklich den Hut«, lobt Zemke.

Ihre jahrelange Misere im Straßenrennen wollen die deutschen Männer um Schachmann und Routinier Simon Geschke an diesem Wochenende endlich beenden. Seit 2014 gab es keinen Top-10-Platz mehr, die letzte Medaille holte Sprinter André Greipel vor neun Jahren.

Schachmann ist einer der Vertreter der neuen deutschen Generation im Radsport: bescheiden und zurückhaltend im Auftreten, ehrgeizig und mutig auf der Strecke, mit klaren Worten im Anti-Doping-Kampf. Was der Re-Start der World Tour den Fahrern abverlangt, nimmt er gelassen hin. »Wir sollen uns jetzt natürlich nicht infizieren, nicht jeden Tag ins Berghain in Berlin hineinspazieren. Ich muss auch ehrlich sagen, ich sehe nicht die großen Einschränkungen in meinem Leben, weil mein Leben eh nicht von langen Partynächten geprägt ist«, sagt der Profi vom Team Bora-hansgrohe.

Sportlich sind die vergangenen Jahre dagegen von einem stetigen Aufwärtstrend geprägt gewesen. Im Vorjahr belegte Schachmann Rang drei beim Frühjahrsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich, in diesem Frühjahr gewann er die traditionsreiche Rundfahrt Paris-Nizza. Es sind Rennen, deren Profile mit dem Kurs am Sonntag vergleichbar sind. »Er ist auf jeden Fall reif für die ganz großen Siege. Ich habe ihm auch einen Tour-Etappensieg zugetraut. Er hat schon mehrfach angeklopft«, sagt Zemke. Am Kopf werde es bei Schachmann keinesfalls scheitern, prognostiziert der Funktionär. »Die Frage ist, spielen die Beine mit?« dpa/nd

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