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Unterstützung statt Bevormundung
Kritik an Gesetzentwurf zur Stärkung der Rechte betreuter Menschen
Das Bundeskabinett will das Vormundschafts- und Betreuungsrecht an die Bedürfnisse der Gegenwart anpassen. Vor wenigen Tagen hat es dazu einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.
Eine Neuformulierung ist dringend notwendig, weil das Vormundschaftsrecht etliche Jahrzehnte alt ist. Wie schon der Name deutlich macht, ging es dabei in erster Linie um die Regelung der Betreuung, die für Betroffene oft einer Entmündigung gleichkam. Das soll sich mit dem neuen Entwurf ändern. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte in einer Presseerklärung, dass der zu betreuende Mensch künftig im Mittelpunkt stehen solle. »Wir stellen klar, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie eine Unterstützung des Betreuten bei der Besorgung seiner Angelegenheiten durch eigenes und selbstbestimmtes Handeln darstellt. Eine Vertretung des Betreuten soll nur stattfinden, wenn dies unbedingt erforderlich ist«, sagte Lambrecht. Es gehe um ein hohes Maß an Selbstbestimmung und die bestmögliche Qualität der rechtlichen Betreuung.
Bei der Betreuung von Ehegatten möchte die Ministerin den Abbau von bürokratischen Hürden erreichen. Ehegatten konnten sich in Fragen der Gesundheitssorge bisher nicht kraft Eheschließung gegenseitig vertreten. Dafür benötigen sie eine Vorsorgevollmacht oder müssen als Betreuer*in bestellt werden. Mit der Neuregelung sollen sich Ehegatten befristet auf drei Monate in Angelegenheiten der Gesundheitssorge kraft Gesetzes gegenseitig vertreten können, wenn ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder einer Krankheit vorübergehend dazu nicht in der Lage ist.
Die Stellung der Kinder soll dadurch verbessert werden, dass die Erziehungsverantwortung des Vormunds gestärkt wird. Nach dem Gesetzentwurf soll das auch für die ehrenamtlichen Betreuer*innen erreicht werden, deren öffentliche Förderung sichergestellt wird.
Für die gesellschaftliche Anerkennung wie auch für die finanzielle Förderung dieser Betreuungsarbeit haben Betroffene seit Jahren gekämpft. Zu ihnen zählt René Talbot. Der Aktivist der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener setzt sich seit Jahren für das Recht auf Selbstbestimmung ein. Sowohl mit juristischen Mitteln als auch mit Petitionen und Demonstrationen hat seine Organisation das Bewusstsein dafür geschaffen, dass Betreuung schnell in Entmündigung führen kann. Nun befürchtet Talbot, dass das neue Gesetz die Situation der Betroffenen sogar noch verschlechtern könnte. Zentrale Kritik ist die Professionalisierung und Lizenzierung von Berufsbetreuer*innen. »Durch die Professionalisierung könnte die bestehende Selbstbestimmung mit einer geeigneten Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht durch willkürliche richterliche Rechtsprechung ausgehebelt werden. Denn dann können Richter*innen bestimmen, ob ein Vorsorgebevollmächtigter genauso geeignet ist wie ein professioneller Berufsbetreuer.« Seine Befürchtung ist, dass hier ein juristischer Hebel gefunden wurde, um Vorsorgevollmachten für unwirksam zu erklären.
Im Gespräch mit »nd« erklärt Talbot, dass der Gesetzentwurf in mehreren Punkten im Widerspruch zu internationalen Rechten stehe. »Nach der UN-Behindertenkonvention muss die Person mit Unterstützungsbedarf das uneingeschränkte Recht haben, über ihre Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten zu entscheiden. Dazu gehören die Entscheidungen über die Art und Intensität der Unterstützung sowie über die Personen, die Unterstützung leisten. Und dazu gehört auch die Ablehnung von Unterstützung«, betont Talbot. Im Gesetzentwurf seien diese Rechte nicht klar. Daher hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener eine Kampagne unter dem Motto »Weg mit dem Referentenentwurf Betreuungsrecht« initiiert.
Dabei könnte es zu ungewöhnlichen Bündnissen kommen. In der Kritik an der Professionalisierung von Betreuer*innen sind sich die Psychiatrieerfahrenen mit Psychiater*innen in Kliniken einig.
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