Fußball in Berlin: Gefeierte Teilung

»Wir aus dem Osten«, singt man beim 1. FC Union - der Westteil der Stadt gehört Hertha BSC.

Die Geschichte der Fanfreundschaft von Hertha BSC und des 1. FC Union wurde schon oft erzählt - als ein Ausschnitt des Lebens im geteilten Berlin. Große Liebe war es nie, eher eine Zweckgemeinschaft, aus Protest: »Hertha und Union - eine Nation« war ein Schlachtruf beiderseits der Grenze. Als der Mauerfall die Möglichkeit der erlaubten Annäherung bot, entdeckten alle recht schnell ihr Desinteresse aneinander. Und weil es keine sportlichen Berührungspunkte gab, lebten die Vereine und ihre Fans jahrelang nebeneinander her. Heute, 30 Jahre nach der politischen Wiedervereinigung, sind Abneigung und Abgrenzung größer denn je. Die Mitgliederstatistiken belegen: Die fußballerische Teilung der Stadt verläuft entlang der alten Grenze. Und sie wird von vielen Fans auf beiden Seiten zelebriert.

Die Historie führt bis ins 19. Jahrhundert zurück, die Identität beider Vereine hat sich im Laufe politischer Veränderungen entwickelt und ist heute noch immer Ausdruck der Konferenz von Jalta mit dem Vier-Sektoren-Beschluss für Berlin im Februar 1945. Hertha BSC hat 37 500 Mitglieder. 25 350 kommen aus der Hauptstadt - und davon leben 75 Prozent im Westteil. Beim 1. FC Union mit seinen 37 259 Mitgliedern ist das Verhältnis noch eindeutiger: 90 Prozent der 24 165 in Berlin lebenden Mitglieder kommen aus dem Osten.

Fußball: Fußball in Berlin: Gefeierte Teilung

Die fußballerische Entwicklung ist natürlich auch ein wesentlicher Faktor. »Bei der Steigerung der Mitgliederzahlen ragten die Spielzeiten 1998/1999 mit Platz drei in der 1. Bundesliga und 2010/2011 mit Platz eins in der 2. Bundesliga heraus«, teilte Herthas Medienchef Marcus Jung »nd« mit. Für den 1. FC Union gilt dasselbe, vor allem mit Blick auf die gesamte Nachwendezeit. 1990 hatten die Köpenicker 138 Mitglieder. Zehn Jahre später weist die Statistik das Zehnfache, jetzt das 270-fache aus. Den stärksten Anstieg, mit mehr als 13 500 Neumitgliedern, erlebte der Verein 2019 mit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga.

Erst die sportliche Annäherung durch gemeinsame Zweitligajahre bis hin zum Erstligaaufstieg Unions führte zu einer wirklichen Konkurrenzsituation - unter den Vereinen und deren Fans. »Hertha BSC ist DER Berliner Hauptstadtclub«, schreiben die Charlottenburger im Werben um neue Kundschaft auf ihrer Internetseite. Zum 50. Geburtstag von Union im Jahr 2016 sagte Präsident Dirk Zingler, dass man nicht mehr nur Köpenicker Kiezklub sein könne, sondern als Gesamtberliner Verein wahrgenommen werden wolle.

Die Mitgliederzahl zeigt die rasante Entwicklung Unions, die Heimat aber bleibt Treptow-Köpenick mit mehr als 9000 Mitgliedern. Ein derart starkes Stammland hat Hertha nicht. Dieser Unterschied ist ein weiterer Teil der Antwort auf die komplexe Frage der Identität. »Wir aus dem Osten« - das sind die ersten Worte der Union-Hymne. Andererseits wolle der Verein laut Zingler eine Alternative im Profifußball anbieten: »Wer diese Fußballkultur will, muss Mitglied bei Union werden.« Die Suche nach einem blau-weißen Image fällt etwas schwerer. Auch weil noch immer gilt, was »11 Freunde«-Chefredakteur Philipp Köster schon vor zehn Jahren über Hertha BSC schrieb: »Zahllose verpuffte Marketingkampagnen, dazu die unerschütterliche und völlig absurde Vorstellung, Fußball müsse in Berlin als Event inszeniert werden.«

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