Werbung

Wahlen in Kirgistan ungültig

Proteste nach dem umstrittenen Urnengang für das Parlament zeigen Wirkung

  • Othmar A. Glas, Almaty
  • Lesedauer: 3 Min.

Als am Dienstagmorgen dichter Rauch aus dem Weißen Haus aufsteigt, hat Kirgistan unruhige Stunden hinter sich. Demonstranten haben in der Hauptstadt Bischkek mehrere Regierungsgebäude gestürmt und inhaftierte Politiker aus dem Gefängnis befreit. Kaum einer weiß zu diesem Zeitpunkt, wie es weitergeht. Die Opposition hat einen Koordinierungsrat gegründet, die Proteste breiten sich auf andere Städte im Land aus.

Ist das die dritte Revolution, die viele Kirgisen bereits seit längerem befürchten? »Bisher hat sich eigentlich nichts verändert«, sagt der Politikanalyst Asim Asimow. »Es ist zu früh, um irgendjemanden einen Sieg zuzusprechen.« Asimow ist derzeit in Bischkek. Momentan sei es friedlich, beschreibt er die Lage. Allerdings sei die Stimmung in der Stadt angespannt. »Es ist eine fragile Stabilität.«

Dass die Demonstrationen vom 5. Oktober überhaupt in Gewalt umschlagen würden, hätte wohl kaum einer erwartet. Seit Montagmittag hatten sich mehrere tausend Menschen im Stadtzentrum von Bischkek versammelt. Sie protestierten gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen am Vortag. Nachdem es schon im Wahlkampf zu Unregelmäßigkeiten gekommen war, verlangten die Demonstranten nun Neuwahlen. »Es war friedlich; es herrschte eine positive Atmosphäre. Die Menschen haben zusammen Lieder gesungen«, schildert Asimow seine Beobachtungen vor Ort.

Am Abend begannen dann Sicherheitskräfte mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Menschen vorzugehen. Dabei wurden fast 700 Menschen verletzt, ein Mann starb. Die Auseinandersetzung führten schließlich zur Besetzung des Weißen Hauses, das sowohl als Sitz des Präsidenten als auch des Parlaments dient. Die Polizei habe sich laut Medienberichten daraufhin zurückgezogen. Anschließend drangen Demonstranten auch in das Gebäude des Nationalen Sicherheitskomitees ein und befreiten den dort inhaftierten Ex-Präsidenten Almasbek Atambajew ebenso wie den früheren Premierminister Sapar Iskarow und weitere Gefangene. Asimow ist überzeugt, dass diese Demonstranten wenig mit denjenigen vom Tag gemein haben. »Sie haben die Proteste als Vorwand genutzt, um ihre eigene Agenda umzusetzen.«

Der amtierende Präsident Sooronbai Dscheenbekow meldete sich am Dienstagvormittag per Videobotschaft. Er rief zur Ruhe auf und verurteilte die Geschehnisse der Nacht als Versuch »bestimmter politischer Kräfte«, illegal die Macht zu ergreifen. Gleichzeitig veranstalte sein Bruder im südkirgisischen Osch eine Kundgebung zur Unterstützung von Dscheenbekow. Mehrere hundert Menschen kamen und verurteilten die Aktionen in Bischkek.

Auch in anderen Regionen des Landes kam es zu Protesten. Mittlerweile sind mehrere lokale Regierungsbeamte zurückgetreten. Am Nachmittag erklärte die Zentrale Wahlkommission die Ergebnisse der Parlamentswahl für ungültig. Ob und wann es zu Neuwahlen kommt, war bis Redaktionsschluss noch offen. Außerdem gründeten mehrere Oppositionsparteien einen Koordinationsrat. Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten.

Dscheenbekow hält sich derzeit noch bedeckt. »Er weiß aus Erfahrung, wie es Präsidenten ergangen ist, die unbedingt an der Macht bleiben wollten«, analysiert der Experte Asimow. Schon zwei Mal, 2005 und 2010, haben die Kirgisen in blutigen Revolten ihre Regierungen gestürzt. »Noch ist Dscheenbekow der legitime Präsident Kirgistans«, so Asimow. »Die Opposition konnte bisher nur symbolische Siege einfahren, wie die Besetzung eines leeren Weißen Hauses.«

Ob sich der nun befreite Atambajew dem Koordinationsrat anschließen wird und nach mehr strebt, ist fraglich. Atambajew hatte von 2011 bis 2017 das Präsidentenamt inne und trat verfassungsgemäß nach einer Amtszeit zurück. Der Machtkampf mit seinem Nachfolger und politischen Ziehsohn Dscheenbekow endete allerdings im Juni dieses Jahres mit einer Verurteilung zu elf Jahren Haft für Atambajew. Und während nun wohl erst einmal die Machtverhältnisse geklärt werden, haben Dutzende Freiwillige bereits damit begonnen, die Schäden der vergangenen Nacht zu beseitigen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal