Ethik in die Marktwirtschaft

Die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie feiert am Wochenende ihr zehnjähriges Bestehen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.

Neoliberale Wirtschaftsvertreter*innen bekommen schon mal Schnappatmung, wenn von der Gemeinwohl-Ökonomie die Rede ist. »Vorsicht Falle!«, heißt es etwa in einem Artikel des Magazins »Focus« von 2016. Randolf Rodenstock, der frühere Chef des gleichnamigen Brillenimperiums schreibt darin weiter: »Was zunächst harmlos anmutet, hat einen harten sozialistischen Kern.«

Linke Kritiker*innen bemängeln dagegen, die Idee »läuft gerade nicht auf einen Systemwandel hinaus, ist bestenfalls wirkungslos und kann sogar kontraproduktiv sein, wo sie vom eigentlichen Problem ablenkt, indem sie bequeme Lösungen suggeriert«, so der Wachstumskritiker Niko Paech 2014 in einem Interview mit dem NGO-Magazin »Südwind«.

Entstanden ist die Bewegung - kurz GWÖ - vor zehn Jahren aus den Reihen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac in Österreich. Den Begriff geprägt hat Gründungsmitglied Christian Felber. Entwickelt wurden die Grundlagen für eine ökologische, soziale und ethische Wirtschaft aus der Kritik am Bestehenden: Zu sehr sei die kapitalistische Wirtschaft orientiert an Profiten für wenige und Wachstum auf Kosten des Planeten. Die einfache Frage lautete: Wie wäre es stattdessen, wenn Wirtschaft am Gemeinwohl orientiert wäre und nicht mehr an der Geldvermehrung um ihrer selbst willen?

Die Antwort ist ein »Wirtschaftssystem, das auf gemeinwohlfördernden Werten aufgebaut ist«, wie es auf der GWÖ-Webseite heißt. »Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Veränderungshebel auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene - eine Brücke von Altem zu Neuem.« Ziel ist eine »ethische Marktwirtschaft«. Heute gibt es Regionalgruppen in Deutschland, der Schweiz, einigen europäischen Ländern, in den USA, Lateinamerika und Afrika.

Grundlage der GWÖ ist eine 20-Punkte-Matrix, auf deren Grundlage beteiligte Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erstellen. Bilanziert werden Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung. Konkret wird dabei nicht nur abgefragt, wie umweltfreundlich ein Produkt entsteht, sondern auch wie groß der Lohnunterschied zwischen Belegschaft und Geschäftsleitung ausfällt oder ob Beschäftigte im eigenen ökologischen Verhalten gefördert werden, indem sie beispielsweise mit Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zum Arbeitsplatz kommen.

Politisch unterstützt werden könnten diese Unternehmen durch geringere Steuern, einen leichteren Zugang zu Förderungen oder Krediten oder durch Bevorzugung im öffentlichen Einkauf. Im internationalen Handel könnte das Gemeinwohl im Rahmen von fairen Handelsabkommen eine Rolle spielen. »Gemeinwohl-schädigende Produkte und Dienstleistungen werden mit Zöllen versehen oder überhaupt an der Einfuhr gehindert«, heißt es auf der Internetseite der Bewegung.

Doch davon ist die Idee noch weit entfernt. Zwar sind aktuell immerhin mehr als 2000 Unternehmen als Unterstützer*innen aufgeführt und rund 400 Mitglied. Hinzu kommen rund 200 Hochschulen sowie 60 Gemeinden und Städte. Letztere sollen einen Index zur Messung der Lebensqualität erstellen und Maßnahmen zu ihrer Verbesserung ergreifen. Ferner sollen sie die Bildung von Wirtschaftskonventen voranbringen.

Die politische Unterstützung aber beschränkt sich in den meisten Fällen auf verbale Zustimmung; einzig die Stadt Stuttgart hat nach Angaben des Betriebswirtschaftlers und Aktivisten Philipp Wodara eine Beauftragte für Gemeinwohl-Ökonomie angestellt. Immerhin tauche der Begriff in dem einen oder anderen Parteiprogramm auf und auch der Berliner Senat bekennt sich in seinem aktuellen Koalitionsvertrag »zu den Unternehmen und Initiativen in Berlin, die gemeinwohlorientiert wirtschaften und mit unternehmerischen Mitteln soziale und ökologische Ziele verfolgen«. Dennoch: »Da ist noch viel Luft nach oben«, sagt Wodara, der in Berlin für die GWÖ aktiv ist.

Dabei ist eine auf das Gemeinwohl ausgerichtete Wirtschaft für den Mittdreißiger lediglich »ein erreichbarer, ein umsetzbarer Zwischenschritt«. Die Gemeinwohl-Ökonomie sei »weder das beste aller Wirtschaftsmodelle noch das Ende der Geschichte«, heißt es auch in einer Selbstbeschreibung, sondern »nur ein nächster möglicher Schritt in die Zukunft«. Die drohende Klimakatastrophe habe dabei das Bewusstsein ebenso geschärft, wie die Coronakrise, sagt Wodara. »Neben dem ökologischen, wird auch ethisches Handeln immer mehr gefordert.« Denn, wie es der Winzer und GWÖ-Unterstützer Josef Umathum in einem Video sagt: »Wie wir jetzt wirtschaften, das hat keine Zukunft.«

Der »Lange Tag der Gemeinwohl-Ökonomie« kann am 10. Oktober im Internet verfolgt werden.

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