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Corona: Aufarbeitung nur vorgeschoben?

Eine Enquete-Kommission des Bundestags soll jetzt die Pandemie samt Maßnahmen grundlegend bewerten

NIcht einmal ein Konzert von Helge Schneider ließ unter Pandemie-Auflagen Fröhlichkeit aufkommen.
NIcht einmal ein Konzert von Helge Schneider ließ unter Pandemie-Auflagen Fröhlichkeit aufkommen.

An diesem Donnerstag wird der Bundestag über die Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission abstimmen. Thema ist die Aufarbeitung von Maßnahmen und Versäumnissen während der Corona-Pandemie. Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD hatten vor drei Wochen einen entsprechenden Antrag ins Parlament eingebracht. Genug Zustimmung dürfte es geben, da das notwendige Viertel der Abgeordneten von den Regierungsparteien locker überschritten wird. Sie verfügen über 328 von 630 Sitzen. Das Quorum wäre schon mit 158 Stimmen erreicht.

Das namensgebende Wort Enquete kommt aus dem Französischen und bedeutet nichts anderes als Untersuchung. Eine Enquete-Kommission ist aber zu unterscheiden von Untersuchungsausschüssen, die der Bundestag (oder ein Landesparlament) ebenfalls einberufen kann. Letztere erfüllen anders gelagerte Aufgaben – und diese auch mit anderen Mitteln. Hierbei erhält das Parlament die Möglichkeit, hoheitliche Mittel zu nutzen, um selbstständig Sachverhalte zu prüfen, die es für aufklärungsbedürftig hält. Das können sonst nur Gerichte und Behörden.

Bei einer Enquete-Kommission hingegen ist das Vorgehen eher auf Konsens ausgelegt. Es handelt sich um eine überfraktionelle Arbeitsgruppe, die umfassende und wichtige Sachverhalte bearbeitet, wobei ganz unterschiedliche Aspekte abgewogen werden müssen, etwa rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder ethischer Art. Am Ende soll eine gemeinsame Position erarbeitet werden.

Die Problemlösungen für eine künftige Pandemie sollten von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden können.

Die Problemlösung oder entsprechende Empfehlungen für das staatliche Agieren in einer künftigen Pandemie sollten, so eine Zielstellung, von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden können. Gemeint ist hier, dass sich auch die vertreten fühlen, die nicht zu den Mehrheitsfraktionen gehören. Gerade dieser Punkt dürfte eine der größten Herausforderungen für die neue Corona-Kommission sein, bedenkt man extreme, unter anderem rechte Positionen während der Pandemie, die auch danach in ihrer Lautstärke kaum nachgelassen haben.

Bislang gab es in der Geschichte des Bundestages 31 Enquete-Kommissionen. Mit zehn Jahren am längsten tätig war jene zum demografischen Wandel, die 1992 eingesetzt worden war, acht öffentliche Anhörungen durchführte und elf wissenschaftliche Gutachten anfertigen ließ. Die erste und möglicherweise folgenreichste Enquete-Kommission war der Psychiatrie gewidmet, sie gilt heute als Auslöser einer grundlegenden Psychiatriereform und war von 1971 bis 1975 tätig. Die letzte Kommission zu den Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr beendete ihre Tätigkeit nach zweieinhalb Jahren Anfang 2025.

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Zu einer Enquete-Kommission gehören Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen sowie externe Sachverständige, die zahlenmäßig proportional nach der Fraktionsstärke im Bundestag berufen werden. Diese beiden Gruppen sind gleichberechtigte Mitglieder. Der von ihnen erarbeitete Bericht soll noch möglichst in der Legislaturperiode der Einsetzung diskutiert werden. In der folgenden Legislaturperiode entscheidet das Parlament – womöglich mit anderer Verteilung der politischen Kräfte –, ob die Kommission ihre Arbeit fortsetzen soll.

Zum neuen Gremium sollen 14 Mitglieder des Bundestags sowie 14 Sachverständige gehören. Die Unionsfraktionen können laut dem Antrag vom Juni fünf Mitglieder benennen, die Fraktionen von AfD und SPD jeweils drei, die Grünen-Fraktion zwei und die Linke-Fraktion ein Mitglied. Bei der Linken wird diese Aufgabe von Ates Gürpinar, Sprecher für Gesundheitsökonomie und Public Health, wahrgenommen. Die Linke hatte eine Enquete-Kommission zur Pandemie bereits 2024 gefordert. Die Ampel-Koalition hatte sich damals nicht auf die Einberufung eines solchen Gremiums einigen können, die jetzige schrieb das Vorhaben aber in ihren Koalitionsvertrag.

Laut dem Antrag der Fraktionen von Union und SPD sollen in die Aufarbeitung der Pandemie sowie des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns in dieser Zeit »die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger« einbezogen werden. Am Ende geht es um belastbare Schlussfolgerungen für die Zukunft. Genauer soll ein Gesamtbild der Pandemie, ihrer Ursachen, Verläufe und Folgen einerseits wie andererseits der staatlichen Maßnahmen umfassend und verständlich aufgezeigt werden. Daten und Fakten sollen zugänglich gemacht werden, die Transparenz sei zu stärken. Nach jetzigem Zeitplan soll die Kommission ihren Abschlussbericht zum 30. Juni 2027 vorlegen.

Die Linke-Fraktion fordert einen stärkeren Fokus auf soziale Fragen in Zusammenhang mit der Pandemie: »Der Bundestag muss aufklären, woran es lag, dass ärmere und vulnerable Gruppen so viel stärker eingeschränkt waren und deren Sterblichkeit so viel höher lag, damit in zukünftigen Pandemien aktiv gegengesteuert werden kann«, erklärte Gürpinar gegenüber »nd«. »Außerdem müssen die Auswirkungen, die die Corona-Pandemie immer noch hat, sei es auf Kinder und Jugendliche, Beschäftigte im Gesundheitswesen oder Langzeiterkrankte, benannt und angegangen werden.«

Einwände zu dem Unions-SPD-Antrag übermittelte auch die Grünen-Fraktion. Ihr zufolge solle die Enquete-Kommission, anders als bisher vorgesehen, öffentlich tagen. Zudem reicht es den Grünen nach einem Schreiben der Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic nicht aus, in welchem Umfang etwa soziale Aspekte der Pandemie und das Thema seelische Gesundheit abgehandelt werden sollen.

Laut dem Antrag der Regierungsfraktionen sollen auch Aspekte der Maskenbeschaffung beleuchtet werden, so die »Schnelligkeit, Transparenz, Wirtschaftlichkeit und vergaberechtlichen Grundlagen«. Dass dieser Passus in den Antrag eingefügt wurde, lässt die Vermutung zu, dass die Enquete-Kommission auch deshalb gerade jetzt kommt, um dem zunehmend unter Druck geratenen Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hier Entlastung zu verschaffen. Der Zusammenhang könnte das ganze Vorhaben abwerten. Hinzu kommt die Frage, wen die Regierungsparteien in das Gremium entsenden und mit welchen Experten sie aufwarten. Wird die Unausgewogenheit der wissenschaftlichen Beratung aus Pandemie-Zeiten fortgesetzt, dürften die Hoffnungen auf eine sachliche, allseitige Aufarbeitung der Corona-Jahre schnell beerdigt werden.

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