Es muss nicht immer Insel sein

Griechenlands Bergregion Epirus kennen die wenigsten.

  • Rasso Knoller
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Priesterinnen von Dodoni saßen einst unter einer Eiche, lauschten dem Flügelschlag der Tauben und sagten aus seinem Klang die Zukunft voraus. Sie huldigten Zeus, dem obersten aller Götter, und weil die Eiche dessen Lieblingsbaum war, wurden die Siegeskränze erfolgreicher Olympioniken aus deren Zweigen geflochten. Dodoni, mitten im Pindos-Gebirge gelegen, war das älteste Orakel des antiken Griechenlands. Allerdings hatte es auch damals schon denselben Standortnachteil wie heute: Es lag fern ab vom Schuss, und so sollte ihm das Orakel von Delphi schon bald den Rang ablaufen. 18 000 Zuschauer fanden einst im Theater von Dodoni Platz. Es schmiegt sich sanft an einen Berghang und gibt dem Zuschauer nicht nur den Blick auf die Bühne, sondern auch das dahinter liegende Tal frei. Ein Blick, der immer noch begeistert.

Fast scheint es, als wollte Zeus die für ihn geschaffene Kultstätte in besonders schönem Ambiente zeigen, denn er hat an diesem Herbsttag seinen Malkasten geöffnet. Rund ums Theater taucht er die Bäume tief in die rote und gelbe Farbe und lässt sie in allen Schattierungen leuchten. Oktober und November sind die besten Monate, um die Region Epirus im Nordwesten Griechenlands zu besuchen. Die Hitze des Sommers hat sich verzogen, trotzdem streichelt die Sonne den Besucher immer noch mit ihren wärmenden Strahlen.

Der Palast des Paschas

15 Kilometer sind es von Dodoni nach Ioannina, der Hauptstadt der Region. Wer sie nicht kennt, muss sich nicht schämen, denn selbst in Griechenland hat die 100 000-Einwohner-Stadt allenfalls den Status eines Geheimtipps. Schade eigentlich, denn sie ist dank vieler Studenten nicht nur erstaunlich lebhaft, sondern sie liegt auch malerisch am Pamvotida See. Eine kurze Fahrt mit dem Ausflugsboot, und schon steigen die Besucher an der Ioannina-Insel an Land. Sieben Klöster kann man hier besuchen und den Palast von Ali Pascha. Der wiederum hat eine spektakuläre Lebensgeschichte zu bieten.

Pascha war oberster Feldherr im osmanischen Reich und verdiente sich für seinen Mut den Beinamen »Löwe von Ioannina«. Anfang des 19. Jahrhunderts war er eine in ganz Europa bekannte Persönlichkeit, der u.a. auch der englische Dichter Lord Byron seine Aufwartung machte. Ali Pascha förderte Bildung und Kultur, er war aber auch bekannt für seinen Jähzorn und seine Rachsucht. Wer ihm im Wege stand, hatte meist nicht mehr lange zu leben. Ali Paschas Mordlust hätte man im fernen Konstantinopel vielleicht noch hingenommen. Als er jedoch begann, die Befehle des dortigen Sultans zu ignorieren und um Ioannina sein eigenes kleines Reich aufzubauen, hatte er damit sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Der Sultan entsandte seine Truppen. Dem mächtigen Heer des osmanischen Reichs konnten Paschas Mannen nicht lange Widerstand leisten, und so endet das Leben des Despoten mit dem Schwerthieb eines Soldaten. Den Kopf des Abtrünnigen ließ sich der Sultan in Konstantinopel auf einem Tablett präsentieren. Diese gruselige Geschichte kann man in einer Ausstellung im Palast »nacherleben«. Danach hat man sich fürwahr eine herzhafte Mahlzeit verdient.

Die Einwohner der Insel leben vom Fischfang, die Restaurants am Hafen bieten deswegen Frischgefangenes an. Wieder zurück auf dem Festland geht es hinauf zur Festung - schon allein wegen der Aussicht und weil sie zum größten Teil von Ali Pascha wiederaufgebaut wurde, und man damit seinen Rundgang auf den Spuren des »Löwen von Ioannina abrunden kann.

Süßes Dessert, trockener Wein

Epirus gehört heute zu den ärmsten Regionen Griechenlands. Die meisten Menschen leben von der Landwirtschaft und vom Handwerk. Beides in idealer Weise kombiniert die kleine «Baklavafabrik» der Familie Kolionasos vor den Toren Ioanninas. Die ist stolz auf ihr süßes Produkt, das in seiner Edelversion weltweit verkauft wird. Deswegen erzählt man dem Besucher auch gleich zu Beginn der Führung, dass Baklava entgegen der landläufigen Meinung keine rein türkische Erfindung sei, sondern im gesamten Nahen Osten, auf der Balkanhalbinsel und sogar im Iran begeistert gegessen wird. Das älteste Baklavarezept stamme aus dem antiken Griechenland. Der Schriftsteller Athenaios hat es im 2. Jh. n. Chr. seinen Lesern verraten.

Ein bisschen klebrig ist Baklava schon. Da hilft ein guter Schluck Wein zum hinunterspülen. Den bekommt man ganz in der Nähe von Ioannina ebenfalls. In der Gemeinde Zitsa hat man sich im Genossenschaftsweingut Zoinos darauf spezialisiert, seltene griechische Rebsorten zu kultivieren. Schon allein deswegen werden die Verkostungen für jeden Weinliebhaber zu einem besonderen Geschmackserlebnis. Wo sonst kann man Weißweine aus Debina-, Kolokithas- und die lange vergessene Malagouziarebe trinken, wo Rotweine aus Vlachiko- und Bekarireben verkosten? Auch Lord Byron kam hier vorbei. An ihn erinnert eine Gedenktafel, auf der er mit einem Trinkspruch zitiert wird: «Wein tröstet die Betrübten, verjüngt die Alten, inspiriert die Jungen und lässt die Müden die Mühen vergessen.»

Die Krise als Chance

Nach Zitza wendet sich die Straße dann in stetem Slalomschwung hinauf in die Berge. Oben in der kleinen Ortschaft Zagori wartet schon der Bürgermeister. Internationale Gäste heißt er hier nur selten willkommen. Mit seinem grauer Bart, seinem gemütlichen Bauch und dem breiten Lachen zur Begrüßung sieht George Soukouvelos genauso aus, wie man sich einen Griechen vorstellt. Der Chef des Dorfes sitzt hinter seinem Schreibtisch, eine Griechenlandfahne zur Rechten und eine Europafahne zur Linken. Er erzählt von der griechischen Wirtschaftskrise und wie diese für sein kleines, entlegenes Dorf zur Chance wurde. Viele junge Leute, die vor einigen Jahren aus Zagori weggegangen waren und in Athen oder Thessaloniki ihr Glück gesucht hatten, kommen jetzt, da sie dort keine Arbeit mehr finden, wieder zurück. «Einige bauen ihre eigenen kleinen Betriebe auf», freut sich der Bürgermeister. «Früher gab es hier nur Schafe und Kühe, heute wird der Tourismus immer wichtiger», erzählt er weiter. Vor allem Wanderer kommen hierher, denn der Pindos-Nationalpark, der gleich hinter dem Dorf beginnt, bietet perfekte Möglichkeiten für kleinere und größere Touren. Und dann verrät George Soukouvelos gleich noch seinen Geheimtipp. Die Wanderung zum Drakolimni, dem Drachensee, sei eine der schönsten im ganzen Land, sagt er.

Die Kipi Suites liegen in der Ortschaft des Bürgermeisters und sind ein gutes Beispiel wie man sich im Pindos-Gebirge den Tourismus in der Zukunft vorstellt. Auf halber Höhe schmiegt sich das exklusive Boutique Hotel an den Hang. Dem Gast bietet es einen weiten Ausblick und viel Luxus, den Einheimischen die Möglichkeit mit den betuchten Gästen den ein oder anderen Euro zu verdienen.

Gewagter Brückenschlag

Viele wilde Flüsse fließen durchs Pindos-Gebirge. Entsprechend wichtig sind und waren hier Brücken. In früheren Zeiten dienten sie aber nicht nur dazu, dass die Bauern trockenen Fußes von der einen Seite des Wassers auf die andere kamen. Sie waren auch eine Möglichkeit für die Dörfer ihren Wohlstand zu zeigen. Um die Nachbarn auszustechen, baute man im 18.und 19. Jahrhundert möglichst kunstvolle Brücken. Da die Länge den Unterschied machte, wählten manche Bauherrn oft bewusst nicht die schmalste, sondern die breiteste Stelle des Flusses für den Brückenbau - denn so konnten sie sich besonders profilieren. Bei so viel Brückenvergleich wundert es nicht, dass im Pindos-Gebirge 196 Steinbrücken zu finden sind. Ganz zu Recht finden die sich auch auf der Vorschlagsliste der UNESCO zur Ernennung zum Weltkulturerbe wider. Weil der Brückenbau aber viel Geld kostete, brauchte man schon damals Sponsoren. Um die zu ehren, tragen viele Brücken einen Doppelnamen - den des Baumeisters und Spenders.

Keine Brücke aber ist so breit, dass sie die mächtige Vikosschlucht überspannen könnte. Die ist zehn Kilometer lang, bis zu 990 Meter breit und 1100 Meter tief - damit hat sie sich den Weltrekord als die Schlucht gesichert, die im Verhältnis zu ihrer Breite am tiefsten ist. Sprich: hier geht es enorm steil nach unten. Das wiederum macht die Ausblicke von den Aussichtsplattformen besonders spektakulär. Durch die Schlucht fließt der Voidomatis. Der nur 15 Kilometer lange Fluss sieht nur selten die Sonne und wird auch im Hochsommer nicht wärmer als sieben Grad. Wer beim Rafting über Bord geht, kommt vermutlich fröstelnd ans Ufer, immerhin aber muss er keine Angst haben, ekliges Wasser zu schlucken. Der Voidomatis ist nämlich einer der saubersten Flüsse Europas.

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