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»Ich habe es meiner Oma versprochen«
Die Dekolonisierung Deutschlands ist zur Lebensaufgabe von Mnyaka Sururu Mboro geworden. Der Mitbegründer von Berlin Postkolonial spricht sogar im Schlaf darüber.
Es war ganz schön kompliziert, einen Termin für unser Gespräch zu finden. Sind Sie Vollzeitaktivist?
Der Aktivist Mnyaka Sururu Mboro ist Mitbegründer des Vereins Berlin Postkolonial und setzt sich seit Jahrzehnten für die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus ein. Er wurde 1951 in Tansania geboren und studierte Bauingenieurwesen in Daressalam. 1978 kam er mit einem Stipendium in die BRD. Seine Mission ist es, den Kopf des Fürsten Mangi Meli zurück nach Tansania zu bringen, der getötet und dessen Schädel wahrscheinlich zu Forschungszwecken nach Deutschland gebracht wurde. Mboro gehört der Jury an, die einen neuen Namen für die Wissmannstraße in Berlin-Neukölln vorschlagen soll.
Tja. Aktivist bin ich, seitdem ich mich erinnern kann, seit ich vier Jahre alt war.
Wie kommt das?
Als ich geboren wurde, war Tansania noch nicht unabhängig, es stand unter dem Mandat der Engländer. Ich komme vom Fuß des Kilimandscharo, an der Grenze zu Kenia. Dort fand damals der Mau-Mau-Kampf gegen die Engländer statt. Das habe ich mitbekommen – und meine Oma hat mir viel erzählt. Auch im Dorf wurde nur über diesen Krieg in Kenia gesprochen. Dadurch haben wir auch viel über jene Kriege gesprochen, die wir in Tansania gegen die deutsche Kolonialherrschaft geführt haben.
So kam es dann, dass Sie sich für Deutschland interessiert haben?
Also Mitte der 70er Jahre arbeitete ich an der Universität in Daressalam im Bereich Bauingenieurwesen und wurde dann vom Ministerium für Erziehung und Bildung in Tansania bestimmt, um mit den Deutschen eine Fachhochschule in Arusha aufzubauen. Als 1977 die Gebäude fertig waren, war ich sehr enttäuscht. Es gab da eine Straße mit Gebäuden, schönen Bungalows mit Swimmingpools. Aber die waren nur für die Lehrkräfte aus Europa und Amerika. Für tansanische Lehrkräfte gab es einfache Räume auf dem Unigelände, wo auch die Studenten wohnten. Dann habe ich gesagt: Meine Herren, das geht überhaupt nicht. Ich war richtig sauer. Und habe gefordert, die Häuser aufzuteilen. Sie haben gemerkt: Ich störe. Zu der Zeit hatte ich überlegt, einen Master in Kanada oder England zu machen. Aber die Deutschen sind dann schnell gekommen und haben mir ein Studienstipendium angeboten.
In Westdeutschland?
Ja, damals habe ich auch ganz präzise gefragt: »Welches Deutschland?« Ich wusste damals nicht, dass es BRD und DDR hieß. Ich habe gefragt: »Das Deutschland von Willy Brandt?« Der war mir bekannt, und ich wusste, der war okay. Und dann habe ich eingewilligt.
Und dann?
Bin ich nach Hause gegangen, um mich von meiner Oma zu verabschieden. Ich habe ihr erzählt, ich gehe nach Deutschland. Als sie das gehört hat, gab es ein Freudengeschrei.
Sie hat sich gefreut?
Ja, natürlich! Alle Nachbarn sind gekommen, und meine Oma meinte: Ich habe es immer gesagt, der Kopf unseres Fürsten Mangi Meli wird zurückgebracht. Jetzt geht mein Enkel nach Deutschland, um ihn nach Hause zu bringen.
Wer ist Mangi Meli?
Mangi Meli war ein Fürst am Fuße des Kilimandscharo, der einen bitteren Kampf gegen den deutschen Kolonialismus geführt hat. Meli wurde schließlich zusammen mit mit mehr als einem Dutzend Unterstützern erhängt – sein Kopf wurde vermutlich zu Forschungszwecken nach Deutschland gebracht. Doch bis jetzt habe ich ihn nicht gefunden. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zum Beispiel hat 250 menschliche Gebeine allein aus Tansania. Die Provenienzforschung daran ist noch nicht abgeschlossen. Meine Oma und die ganzen Dorfbewohner glaubten, dass es solange wir ihn nicht beerdigt haben Klima- oder andere Katastrophen gibt, wie jetzt Corona. Es war mir sehr wichtig – bis heute.
Als Sie hier ankamen, haben Sie da mit Ihren Kommilitonen über den Kolonialismus gesprochen?
Damals gab es sehr wenige Studenten aus Afrika hier. Und die kamen auch aus anderen Ländern. Und dann mit den deutschen Kommilitonen zu sprechen ...
Sie haben nicht mit ihnen gesprochen?
Ich habe mit ihnen gesprochen.Aber sie dachten, ich bin ein Spinner, weil ich ihnen die Geschichte von meiner Oma erzählt habe Sie hielten mich für abergläubisch.
Wieso, was haben sie gesagt?
Ach, was haben sie gesagt, das Thema war für die total uninteressant.
Und außerhalb der Uni? Haben Sie auch Rassismuserfahrungen in Deutschland gemacht?
Ja. Ich war damals in Heidelberg und Ludwigshafen, der Zentrale für die US-Soldaten. Sie mochten dort keine Schwarzen US-Soldaten. Dort konnte nicht einmal in ein Café oder eine Kneipe gehen. Wenn ich reingegangen bin, hieß es nur: Nee, die Amerikaner sind hier nicht erlaubt. Obwohl ich gesagt habe, ich bin kein Amerikaner. Einmal hat es mir gereicht. Da habe ich gesagt, ich will mein Bier, und ich kriege es. Da haben sie die Polizei angerufen und mich wirklich mit Gewalt rausgeworfen und meine Kleidung zerrissen. Die Polizei hat mich in eine Ausnüchterungszelle gebracht – bevor ich mein erstes Bier bekommen hatte. Und wenn ich draußen rumgelaufen bin, haben die Kinder das N-Wort hinter mir hergerufen. Das war mir zu viel.
Was haben Sie gemacht?
Dann bin ich hier nach West-Berlin gegangen für ein Seminar und habe einige Afrikaner getroffen, sogar zwei aus Tansania, da dachte ich mir, kommst du hierher – obwohl es damals total eingemauert war, das war 79/80. Aber als ich nach Berlin kam, habe ich gesehen, es gibt hier die Chance, den Kopf von Mangi Meli zu suchen und auch über die anderen Sachen zu reden. 1984 habe ich mit ein paar afrikanischen Studenten eine Gruppe gegründet, in der wir angefangen haben, über Kolonialismus und Apartheid zu sprechen. Und dann haben wir entschieden, eine große Veranstaltung zu 100 Jahren der sogenannten Afrika-Konferenz zu machen. Wir haben überall nach Geldern gesucht...
Und hat es funktioniert?
Ja, die Veranstaltung war ein Erfolg. Damals habe ich auch erfahren, dass es das Afrikanische Viertel gibt. Ich dachte: Tolle Sache. Ich bin also mit May Ayim und der Alternativen Liste, das sind heute die Grünen, in das Afrikanische Viertel gegangen. Und da begegnete ich der Petersallee. Fast hätte ich einen Herzinfarkt bekommen. Weil meine Oma, da war ich nicht mal vier, mir die Geschichte von Carl Peters erzählt hatte, dem deutschen Kolonialherrscher am Fuß des Kilimandscharo. Der hat Menschen hängen lassen, nur zum Spaß. Man hat ihn »Blutige Hand« genannt. Als ich seinen Namen hier gelesen habe, habe ich die Welt überhaupt nicht mehr verstanden. Nach unserem Besuch hat die Alternative Liste gefordert, die Straße umzubenennen.
Damals schon?
Ja, ja, damals schon! Aber sie wurde nur umgewidmet. Zur Erinnerung an einen anderen Peters. Und als wir später wieder Forderungen gestellt haben, hat man uns gesagt, Umwidmung ist genauso wie Umbenennung.
Wie kam es dann dazu, dass Sie den Verein Berlin Postkolonial gegründet haben?
2004 gab es eine namibische Demonstration hier, es ging um 100 Jahre Vernichtungskrieg in Namibia (1904-1908). Aber es gab nur wenige Veranstaltungen, das war schnell vorbei. Da habe ich mir gedacht: Nächstes Jahr jährt sich der Maji-Maji-Krieg (1905-1907) zum 100. Mal, da machen wir nicht nur einmal, sondern drei Jahre lang – so lange, wie der Krieg dauerte – verschiedene Veranstaltungen. Ich und die tansanische Community, wir haben eine Kunstaktion gemacht, für die wir uns vom Hals bis zu den Füßen angekettet haben, wie damals die Gefangenen im Vernichtungskrieg. Eine Gruppe von Studenten in Dahlem hat Ölfässer mit Sand gefüllt und über die Straße gerollt und mit den Füßen gestampft. Es war laut, die Leute haben geguckt. Das hatte so eine Wirkung!
Auch praktisch?
Nein. Damals wussten wir schon, dass es viele Kulturgüter aus Afrika hier gibt. Allein im Keller des ethnologischen Museums in Dahlem gab es über 2000 Kulturobjekte nur aus Tansania! Den Direktor fragten wir, ob man die zurückgeben kann. »Ja, natürlich«, sagte er uns. Aber er hatte nur noch ein Jahr bis zur Rente, vielleicht deswegen (lacht). Doch bis heute ist da wenig passiert. Aber wir wussten, dass es die Sachen gibt. Und natürlich sind auch die menschlichen Gebeine sehr wichtig. Diese sind mittlerweile in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, doch erst vor drei Jahren haben sie begonnen, Provenienzforschung zu betreiben, und zwar im Moment nur für die etwa 250 Gebeine aus Tansania, davon 60 aus Kilimandscharo und 900 aus Ruanda.
Wie sieht Ihr Tag als Aktivist aus?
Mein Tag (lacht). Also was ich wirklich mache im Moment: Es gibt so viele Anrufe. Manchmal kann ich nicht mal zurückrufen. Also manchmal wenn die Leute mich fragen, dann sage ich: Ich habe die Suppe gekocht, jetzt muss ich sie auch auslöffeln. Solange ich noch Kraft habe, werde ich noch ein paar Sachen machen können.
Haben Sie in Deutschland auch als Bauingenieur gearbeitet?
Ich habe ein Praktikum im Tiefbau gemacht und an der Verlängerung der U-Bahn am Richard-Wagner-Platz gearbeitet. Aber die meiste Zeit habe ich für den deutschen Entwicklungsdienst gearbeitet und Entwicklungshelfer in Kisuaheli und regionaler Geografie Ostafrikas unterrichtet. Seit ich angefangen habe, mich mit dem deutschen Kolonialismus zu beschäftigen ... Viele Leute denken, ich bin Historiker. Das bin ich nicht, aber die Geschichte meines Landes ist ein Teil von mir geworden. Ich träume davon, manchmal rede ich auch im Schlaf.
Über Kolonialismus?
Ja! Es ist nicht gelogen – aber laut! (lacht)
Und woher nehmen Sie die Motivation für das alles?
Ich habe ja gesagt, ich bin Aktivist, seit ich vier Jahre alt war. Weil ich aufgewachsen bin mit diesen Sachen. Es musste sich etwas ändern. Das habe ich damals auch meiner Oma versprochen. Und ich weiß, wie sehr die Leute darauf warten. Zum Beispiel die nahen Verwandten von Mangi Meli – sie fragen dauernd nach.
Sie haben mal gesagt, dass Sie auch wenn Sie in Deutschland leben, hier nicht begraben werden wollen. Warum?
Ich gehöre dem Volk Waschagga an. Es ist bei uns immer so gewesen: Wenn einer stirbt, wird Geld gesammelt, Transport organisiert und man wird am Kilimandscharo im Familiengrab beerdigt. Ich bin stolz, ein Tansanier zu sein. Viele denken, ich sei eingebürgert, aber nein. Meine Töchter sind hier geboren, die Mama ist Deutsche. Und die kennen diese Tradition. Die wissen, da komme ich hin. Da sind wir schon sehr konservativ (lacht).
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