Auf Waffensuche

Aktivisten »handeln« stellvertretend für den Militärischen Abschirmdienst

»Der MAD kann bei der Aufklärung alleine nicht erfolgreich sein. Im Zuge der aktuellen Reformen benötigen wir dringend eine neue Wachsamkeit und Aufklärungsbereitschaft in der Truppe – ein Klima des Hinsehens.« So heißt es in einem Schreiben, das am vergangenen Freitag in zahlreichen Dienststellen der Bundeswehr im In- und Ausland eintraf. Der vermeintliche Absender: das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst »BAMAD«.

Insgesamt 4281 Dienstellen haben die Aktivist*innen des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) mit diesem Informationsschreiben kontaktiert. Es gehe um Ermittlungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, heißt es darin weiter. Man sei auf der Suche nach Waffen und Munition aus dem Bestand der Bundeswehr.

Nachdem Polizeikräfte im Mai 2020 in Nordsachsen ein Waffenlager im Garten eines Soldaten des Kommando Spezialkräfte KSK ausgehoben haben, in dem Munition, Waffen und zwei Kilogramm Sprengstoff gefunden wurde, geriet das Verteidigungsministerium unter Druck. Eilig wurde eine Ermittlungsgruppe gebildet und ein erster Bericht Anfang Juli veröffentlicht. Demnach fehlen Waffen, Waffenteile, mehrere zehntausend Schuss Munition und rund 60 Kilogramm Sprengstoff. Wie viel davon Diebstahl oder Schlamperei zuzuordnen ist, das wird Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) erst zum Ende der Woche beim nächsten Zwischenbericht erfahren. Danach steht im Bundestag die Information des Verteidigungsausschusses an.

Das Zentrum für politische Schönheit liefert Aktionskunst, die für viele oft an der Grenze des Zumutbaren liegt, für manche darüber hinaus geht, aber unbestritten stets für Kontroversen sorgt. Zuletzt erweckte das ZPS im Januar 2020 mit einer Stele den Eindruck, diese enthielte die Asche von Opfern der NS-Massenmorde. Nach heftiger Kritik wurde der Inhalt der Stele nach Angaben des ZPS der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland übergeben, die diesen auf einem jüdischen Friedhof beisetzte.

Mit der nun gestarteten Aktion gegen die Bundeswehr ist das ZPS nun wieder auf weniger umstrittenem politischem Parkett unterwegs. Das Anschreiben des vermeintlichen Abschirmdienstes wurde zunächst von etlichen Adressaten ernst genommen. Allen voran der Militärattaché in Stockholm, Fregattenkapitän Markus Brüggemeier, dessen Anruf bei der vom ZPS eingerichteten Hotline am Montagnachmittag veröffentlicht wurde. Brüggemeier echauffiert sich darüber, dass »der entsprechende Versand nicht klassifiziert und frei zugänglich für alle Mitarbeiter der deutschen Botschaft« sei. Es wirkt, als gehe es Brüggemeier mehr um das vermeintliche Sicherheitsleck als um die verschwundenen Waffen.

Auf Nachfrage des »nd« erklärte Brüggemeier, er habe die Angelegenheit an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Zu der Aktion wollte er sich nicht weiter äußern. Auch andere Anrufer gingen dem ZPS auf den Leim und nahmen die Kunstaktion offensichtlich für bare Münze.

Das Verteidigungsministerium erklärte auf nd-Nachfrage, die Aktion sei »womöglich dem Formenkreis der Satire zuzuordnen«. Zwar nehme man die Thematik Waffen- und Munitionsverluste ernst, wolle die Auseinandersetzung mit der Aktion jedoch »dem Individuum überlassen«, teilte ein Ministeriumssprecher mit.

Die reale Bühne der Kunstaktion ist im Regierungsviertel zu finden. Vor dem Kanzlerinnenamt ist eine »Amnesty-Box« aufgebaut, in die, wie auch an Flughäfen üblich, Gegenstände eingeworfen werden können, deren Mitnahme untersagt ist, ohne dass eine Bestrafung erfolgt. Auf der Box zu finden: Der Appell, bis zum 31. Oktober 2020 anonym Waffen, Munition und Sprengstoff einzuwerfen. Auf der Kampagnenseite »unsere-waffen.de« wird über den Fortgang der Aktion und die umfangreichen Fehlbestände der Bundeswehr informiert.

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