Keine Entwarnung

Corona-Maßnahmen senkten den CO2-Ausstoß im ersten Halbjahr auf das Niveau von 2006. Um den Klimawandel zu stoppen, ist mehr nötig

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Die rapide Ausbreitung der Covid-19-Pandemie brachte namentlich in den sogenannten Industrieländern die Wirtschaft zeitweilig nahezu zum Erliegen. Produktion und Energieerzeugung wurden stark heruntergefahren, deutlich weniger Autos waren unterwegs, der Himmel zeigte sich vielerorts in ungewöhnlich reinem Blau, ganz ohne Kondensstreifen, denn auch das Gros der Flugzeuge blieb am Boden.

Eine kürzlich im Fachjournal »Nature Communications« erschienene Studie einer Wissenschaftlergruppe um Zhu Liu vom Department of Earth System Science an der Tsinghua-Universität in Peking liefert nun Zahlen darüber, wie sich der Lockdown auf die Treibhausgasemissionen ausgewirkt hat. Danach ging der globale Kohlendioxidausstoß in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,55 Milliarden Tonnen - rund 8,8 Prozent - zurück. Die Studie ermöglicht zudem einen detaillierten Überblick darüber, wie die Wirtschafts- und Ausgangsbeschränkungen der Hauptemittenten mit ihren CO2-Reduktionen korrespondierten und welche Sektoren welche Rolle spielten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den täglich gesammelten Daten der internationalen Forschungsinitiative Carbon Monitor zu.

»Die größte Emissionsreduktion fand im Bereich des Landverkehrs statt«, erklärt Daniel Kammen, Professor für Energie an der University of California in Berkeley und Mitautor der Studie. »Vor allem aufgrund des weit verbreiteten Homeoffice gingen die CO2-Emissionen im Verkehr weltweit um 40 Prozent zurück.« Das gilt insbesondere für die USA und China, während die Europäische Union und Indien ihre stärksten CO2-Einsparungen im Energiesektor verzeichneten. Dessen Emissionen lagen weltweit 22 Prozent niedriger als im Vorjahr, gefolgt von der Industrie mit minus 17 Prozent. Selbst in den Privathaushalten gingen die Emissionen trotz Homeoffice um drei Prozent zurück, unterstützt durch einen ungewöhnlich warmen Winter in großen Teilen der nördlichen Hemisphäre, weshalb weniger geheizt werden musste.

Der Rückgang der CO2-Emissionen in der ersten Jahreshälfte übertraf nach Aussage Lius und seines Teams in absoluten Zahlen den aller früheren Einbrüche der Weltwirtschaft, sei es des Zweiten Weltkriegs, der Ölpreiskrisen von 1972 und 1979 oder der globalen Finanzkrise 2008. Sobald die staatlichen Maßnahmen gelockert wurden, verzeichneten alle Bereiche außer dem Verkehrssektor jedoch sogenannte Nachhol- oder Reboundeffekte. Emissionssteigernd wirkten sich zum Teil auch die staatlichen Konjunkturprogramme aus.

Aber auch sonst sind die Ergebnisse der Studie kein wirklicher Grund zum Feiern: Die Lockdowns belasten die Volkswirtschaften, trafen in besonderem Maße ärmere Menschen und trugen damit zu einer noch stärkeren Spaltung der Gesellschaften bei. Auch stieg der CO2-Gehalt in der Atmosphäre dennoch weiter an: Das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) meldete im Mai 2020 einen neuen historischen Rekord. Das belegen Messungen der Station des Bundesumweltamtes auf der Zugspitze im März und der Wetterstation auf Hawaii im Mai, wenn die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre jeweils ihren jährlichen Höchststand erreichen. »Das zeigt, vor welcher Herkulesaufgabe wir stehen, wenn selbst der (weltweite) Lockdown nicht substanziell dazu beigetragen hat, dass sich der CO2-Gehalt stabilisiert oder gar sinkt«, warnt der Vorstandsvorsitzende des DKK, Mojib Latif.

Eine Lösung der Klimakrise ist nach Ansicht Latifs nur durch systemische Veränderungen möglich: »Wir müssen die Energiesysteme komplett umbauen: Also weg von der fossilen Energie hin zu erneuerbaren Energien. Auch brauchen wir eine völlig andere Art von Mobilität - sonst kommen wir nicht weiter«, sagt er. Dabei erkennt er in einem Europäischen Green Deal durchaus Potenzial, sofern dieser nicht völlig verwässert werde. Die Notwendigkeit systemischer Veränderungen sehen auch Liu und Kolleg*innen. »Individuelles Verhalten ist sicherlich wichtig, aber worauf wir uns wirklich konzentrieren müssen, ist die Verringerung der CO2-Intensität unserer globalen Wirtschaft«, betont Koautor Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und Direktor emeritus des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

Dennoch gibt es einige Maßnahmen, die es sicherlich lohnt, aus den Erfahrungen des Lockdowns für den Klimaschutz zu übernehmen. Dazu gehören für Koautor Xinyu Dou das Homeoffice sowie für Katja Schumacher, Ökonomin am Ökoinstitut Berlin, der Urlaub im Inland oder die neuen Fahrradwege in den Städten. Einen weiteren wichtigen Punkt, der sowohl die Ausbreitung der Covid-19-Infektionen eindämmt als auch die Umwelt schützt, sieht sie in der Wiederentdeckung des öffentlichen Raums wie Grünanlagen und Parks. »Die Existenz dieser Flächen ist gerade für besonders gefährdete Menschen oder solche mit wenig Ressourcen, die in engen Wohnungen leben, wichtig«, sagt sie. Gleichzeitig verbesserten sie das Stadtklima.

Auch im deutschen Konjunkturprogramm finden sich Maßnahmen, die durchaus einen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnten. Dazu gehören, laut Schumacher, Beihilfen für den öffentlichen Personennahverkehr, die Modernisierung von Bussen und Lkw und die Förderung der Elektromobilität, Investitionen in die Wasserstofftechnologie und CO2-Gebäudesanierungen. Dabei komme es aber auf die konkrete Ausgestaltung an: »Nachhaltigkeitskriterien und Klimachecks sind wichtig, um die Kompatibilität mit den Klimazielen sicherzustellen«, betont die Ökonomin.

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